In Nordborneo leben Malai_innen, ethnische Chines_innen und die indigene Bevölkerung eng beieinander, oft in streng religiös und autoritär geführten Communitys. In einigen anderen Teilen Malaysias steht gleichgeschlechtliche Liebe sogar unter Prügelstrafe. Trotzdem sieht man hier und dort trans* Frauen, trans* Männer hingegen so gut wie gar nicht. Wir haben mit einem von ihnen gesprochen: Jeffrey (35) erzählt uns von mangelnder Versorgung, latenter Bedrohung und fehlender Akzeptanz, aber auch von Unterstützung und Liebe.

Von Benedict Wermter

Jeffrey, wie geht es trans* Menschen in Malaysia?

Trans* Personen haben es hier sehr schwer. Ganz einfach, weil die meisten Menschen sehr religiös sind und niemand weiß, dass wir existieren.

„Trans* Menschen haben es schwer in Malaysia“

Ich selbst wusste viele Jahre nicht, dass ich T bin. Ich hatte einen guten Job auf Borneo, habe als staatlich bezahlte Krankenpflegekraft gearbeitet. Erst vor sechs Jahren habe ich gekündigt und in Singapur in einem Krankenhaus angefangen zu arbeiten, unter anderem auch, um dort nebenher mit einer Therapie zu beginnen.

Wie hast du herausgefunden, dass du T bist?

Viele Jahre wusste ich nur, dass es die Begriffe schwul und lesbisch gibt. Ich dachte von mir selbst, ich sei lesbisch.

Erst mit Ende Zwanzig habe ich angefangen, mir intensiv Gedanken um meine Identität zu machen. Ich habe dann tatsächlich gegoogelt: „Gibt es einen Begriff für das, was ich fühle?“

Zur selben Zeit habe ich die Buchstaben LGBT erstmals wahrgenommen, aber noch nicht verstanden. Dann habe ich gegoogelt: „Kann man von einer Frau zum Mann werden?“ Das Ergebnis hat mich umgehauen: Das T steht für trans*. Ich dachte nur: „Was zur Hölle…“

Warum bist du dann gerade nach Singapur gegangen, das ja auch nicht unbedingt für Offenheit und Toleranz steht?

Ich war spät dran. Als ich schließlich erfahren habe, wofür das T steht, wollte ich sofort mit einer Hormontherapie beginnen.

In den Sozialen Medien fand ich heraus, dass es in Singapur Pride-Gruppen und Therapieformen für trans* Menschen gibt. Es war trotzdem schwierig, dort eine medizinische Spezialistin oder einen männlichen Kollegen zu finden, die oder der mir bestätigt, dass ich nicht nur eine „Phase“ durchlaufe. Denn das war es, was mir von den Ärztinnen und Ärzten entgegengehalten wurde.

Schließlich fand ich jemanden, der mich eine Weile lang begutachtete und das „Okay“ für die Behandlung gab. Es hat gedauert, bis ich die Hormone endlich bekam.

Immerhin konntest du dich in Singapur medizinisch begleiten lassen.

Dann kam das Massaker von Florida im Jahr 2016. Da gab es diesen Amoklauf in der Gay-Bar Pulse in Orlando mit 49 Toten und über 50 Verletzten. Das hat sich direkt auf die Szene in Singapur ausgewirkt. Die Pride-Gruppen wie zum Beispiel „Pink Dot SG“ auf Facebook waren verunsichert, manche haben sich aus Angst sogar aufgelöst.

„Niemand weiß, dass wir existieren“

Und mein Doktor bekam Panik. Er hat zügig versucht, Hormone für alle Patientinnen und Patienten zu bekommen. Solche Menschen sind selten hier, ich bin ihm bis heute sehr dankbar dafür. Er war einer der ältesten Mediziner in Singapur.

Jeffrey (Foto: Benedict Wermter)

Jedenfalls hatte die Regierung große Angst vor Attentaten in Singapur, zumindest war das mein Eindruck. Schließlich wurden die Medikamente spürbar teurer, nahezu unbezahlbar.

Konntest du die Therapie auf Borneo fortsetzen?

Nein, in ganz Borneo habe ich keinen Arzt und keine Ärztin gefunden, die mich therapieren konnten. Nur in Kuala Lumpur könnte ich Hormone bekommen und mein Testosteronlevel medizinisch überwachen lassen. Aber dort möchte ich nicht leben.

Also hast du zurzeit keine Chance auf die Therapie?

Na ja, ich habe alles über die Hormone gelernt. Ich injiziere alle zwei Wochen Testosteron in meinen Oberschenkel und bleibe immer bei 0,5 Milliliter. Da ich Krankenpflege studiert habe, bin ich zum Glück im Vorteil.

„Ich habe keinen Zugang zu qualifizierten Medikamenten“

Aber dass ich mein Level nicht überwachen kann, ist ein großes Problem. Ich weiß eigentlich nicht wirklich, ob das Testosteron ausreicht, und muss im wahrsten Sinne des Wortes auf meine Stimme hören, die sich mit abnehmendem Testosteronspiegel schnell ändert.

Wo bekommst du die Medikamente her?

Ich habe die Apotheke meines Vertrauens gefunden, die mir Hormone beschafft. Allerdings sind die Medikamente wohl eher Steroide, die für Bodybuilder gedacht sind. Ich habe keinen Zugang zu qualifizierten Medikamenten, die man normalerweise bei der Therapie bekommt.

Ich muss also nehmen, was ich kriegen kann. Und weil ich mich selbst therapiere, habe ich mir „Selfmade“ in den Nacken tätowieren lassen.

Ich habe gelesen, dass die LGBT-Szene in Malaysia verfolgt wird und in einigen Landesteilen die Prügelstrafe für Homosexuelle gilt. Bekommst du etwas davon mit?

Ja, erst kürzlich ist wieder ein schwules Paar in Haft ausgepeitscht worden. Und nicht allzu weit von hier entfernt liegt Brunei, wo die Todesstrafe für trans* Menschen gilt. Es erinnert mich an das Mittelalter, obwohl viele Menschen in Malaysia und Brunei moderne Autos fahren. Die Menschen leben eben in Widersprüchen.

Hast du Angst?

Nein. Ich habe keine Angst. Ich denke noch nicht einmal über die Verfolgung nach. Zumal die Regierung hier auf Borneo gemäßigt ist und LGBT nicht aktiv verfolgt.

Und selbst wenn: ich kann ja nun mal meine Gefühle nicht abstellen. Also wird die Verfolgung nichts an meiner Identität ändern. Warum sollte ich also Angst haben? Wenn mir jemand etwas antun will, muss ich das aushalten.

Ich mache nichts falsch, ich liebe eben nur Frauen.

Als wir uns kennenlernten, hast du mir erzählt, dass es nur wenige trans* Männer auf Borneo gibt.

Soweit ich weiß, gibt es nur vier auf Borneo – mich eingeschlossen. Einer ist ziemlich bekannt, er sieht toll aus, muskulös, die Brust entfernt. Er betreibt ein Fitnessstudio und hat mir schon Tipps gegeben, wie ich an Muskelmasse zunehme. Er nimmt Steroide und ist wohl auch schon in einem chinesischen Fitnessmagazin aufgetaucht, ohne dass sein trans* Hintergrund erzählt wurde. Das finde ich cool.

„Ich kann nun mal meine Gefühle nicht abstellen“

Der zweite wurde von seiner Familie verstoßen und lebt heute in Singapur, auch er ist bekannt. Und dann gibt es noch einen Dritten hier auf Borneo, mit dem ich mich über die Medikamente austausche.

Sie alle habe ich auf Facebook kennengelernt. Persönlich getroffen habe ich noch keinen anderen trans* Mann. Hier auf Borneo ist nichts los, ich kenne keine einzige LGBT-Gruppe, die sich offen zeigt. Es gibt hier und dort trans* Frauen, die in Cafés sitzen. Ich würde gern wissen, ob es noch mehr trans* Männer hier gibt. Aber auch ich bin ja nicht wirklich geoutet.

Bist du zufrieden mit deinem Leben hier?

Ich denke mittlerweile, ich bin hetero. Das fühlt sich richtig an.

Ich würde nur gerne meine Brust loswerden, damit auch ich mal oben ohne am Strand rumlaufen kann. Und ich hätte so gerne einen Bart. Obwohl ja nicht einmal mein Vater einen Bart hat.

Immerhin hat sich schon meine Stimme verändert, mein Vater dachte, es kommt vom starken Rauchen. Nur meine Familie will mich immer noch verheiraten, da denke ich mir nur: Oh Jesus.

Ich stelle es mir als Herausforderung vor, als trans* Mensch in eine indigene Familie im Dschungel Borneos geboren zu werden. Wie geht deine Familie damit um?

Wir gehören zu den Dusun, einem indigenen Stamm auf Borneo. Die Dusun wurden vor vielen Jahren christlich missioniert, viele leben heute als streng gläubige Bauern und Bäuerinnen in Nord-Ost-Borneo.

„Mein Leben war eine verwirrende Reise, bis ich auf die Dreißig zuging“

Auch mein Vater ist Bauer, meine Eltern haben sieben Kinder. Und ich bin der Älteste. Die wissen noch immer nicht, dass es die Buchstaben gibt: L.G.B.T. Aber meine älteren Geschwister wissen immerhin, dass ich homosexuell bin – nach deren Verständnis.

Ich sehe ein LGBT-Tattoo auf dem Unterarm. Verstehen deine Eltern das nicht?

(Foto: Benedict Wermter)

Nein, meine Eltern lehnen insgesamt Tattoos ab. Da fragen die gar nicht erst nach. Obwohl mein Vater selbst einen Skorpion tätowiert hat. Aber für Frauen gehört es sich eben nicht.

Wie war deine Jugend, wie hast du dich entdeckt?

Es war eine verwirrende Reise, bis ich auf die Dreißig zuging. Noch mit 14 Jahren hatte ich Gefühle für Jungs, die mir in der Schule Briefe zugesteckt haben. Ich erwiderte es einfach gern, wenn mich jemand mochte.

Ein erster Einschnitt kam nach der Highschool: Ich verkaufte Klamotten in einem Laden im Stadtzentrum, zwei Stunden von meinem Dorf entfernt. Zu der Zeit schnitt ich mir die Haare ab. Einfach so, es war ein Impuls. Auf der Arbeit hatte ich eine Kollegin, wir mochten uns. Doch es war anders als mit den Jungs in der Schule. Nach einiger Zeit kehrte ich in mein Dorf zurück; wir schrieben noch zwei Monate, dann hatte mich das konservatives Umfeld eingeholt.

Jetzt ahnte ich, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle, was mir trotzdem falsch vorkam. Ich hatte ja noch keine Ahnung vom T.

„Ich ahnte, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle, was mir trotzdem falsch vorkam“

Erst viele Jahre später, als ich mit Mitte zwanzig Pflege studierte, traf ich im Praktikum auf eine Krankenschwester, mit der ich mich heimlich traf. Wir probierten ein paar Sachen aus, eine Beziehung haben wir leider nicht geführt. Sie machte mich aber eifersüchtig, wenn sie mit den Ärzten flirtete. Ein neues Gefühl für mich.

So lernte ich im Krankenhaus schließlich eine Ärztin kennen, wir verliebten uns, und sie verließ ihren Freund für mich. Dann sagten wir die drei magischen Wörter zueinander.

Warum habt ihr euch getrennt?

Wir haben uns ein Telefon geteilt, um darauf Musik zu hören. Sie hatte sich nicht aus ihrem Mailaccount abgemeldet und dort habe ich gesehen, dass sie schon seit einiger Zeit mit einem Typen schrieb. Wie schade. Aber es war die Zeit, in der ich mich intensiver mit meiner Geschlechtsidentität beschäftigte.

Und dann ging ich nach Singapur, blieb aber trotzdem vier Jahre lang Single. In Singapur wurde nicht nur die Therapie zu teuer, ich fühlte mich auch einsam und hatte Heimweh, nach meinem Dorf und vor allem nach den Bergen, aus denen ich komme. Heute bin ich Fremdenführer am höchsten Berg Malaysias, dem Kinabalu.

Und die Liebe?

Ich habe wieder eine Freundin. Sie kommt aus dem Süden der Philippinen, also gar nicht weit weg von mir, und wir haben uns beim Wandern hier am Berg kennengelernt. Sie war es, die mir danach schrieb. Lange wusste sie nicht, dass ich trans* bin. Das kam erst raus, als sie meinen Vornamen auf der Internetseite meines Veranstalters fand.

„Ich träume von denselben Rechten“

Für meine Freundin ist es okay, aber sie schämt sich vor ihren Freunden, habe ich das Gefühl. Wobei einige ihrer Freunde selbst gay sind. Das verstehe ich nicht.

Was würdest du dir für dich und andere trans* Menschen auf Borneo wünschen?

Ich wünsche mir Freiheit. Ich meine, ich würde gerne meinen Geschlechtseintrag im Pass ändern lassen. Oder irgendwann einmal heiraten. Oder zumindest eine Lebensgemeinschaft eintragen lassen. So, wie es bei euch im Westen möglich ist. Von denselben Rechten träume ich.

Update: Nach dem Interview haben sich Jeffrey und seine Freundin getrennt. „Sie hat beschlossen, dass unsere Beziehung für ihre Freunde und Familie ein Problem ist und wir deswegen keine Zukunft haben“, sagt er.

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Über

Benedict Wermter

Benedict Wermter ist freier Autor und Rechercheur aus dem Ruhrgebiet und schreibt gerne Reportagen. Für das Magazin der Deutschen Aidshilfe beschäftigt er sich unter anderem mit der Drogenpolitik hierzulande.

(Foto: Paulina Hildesheim)

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