Im Rahmen eines Austauschprogramms für Nichtregierungsorganisationen zwischen China und der EU lernt unser Mitarbeiter Werner Bock vier Wochen lang die Arbeit einer chinesischen HIV-Organisation in Hefei kennen. Seine Erlebnisse schildert er in Bock bloggt.

Seit über einer Woche bin ich nun in China – und erschlagen von den vielen Eindrücken.

Nachdem ich ein paar Tage in Hefei war, fliege ich mit Pan nach Chengdu, einer Stadt mit 15 Millionen Einwohnern. Dort findet ein Workshop mit allen 24 „Twinnern“ statt.

24 Twinner, 12 aus Europa, 12 aus China

12 davon aus verschiedenen europäischen Ländern, 12 aus China. Alle arbeiten in Non-Profit-Organisationen (in Deutschland würde man am ehesten von Vereinen sprechen).

Die Arbeitsfelder reichen von Klimawandel, Müll-Recycling über nachhaltige Landwirtschaft bis hin zu Sexualaufklärung und HIV.

Es gibt Vorträge, Präsentationen von Teilnehmenden über ihre Arbeit und ein „World-Café“, bei dem es um gemeinsame Ziele unserer Arbeit geht.

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Teilnehmer_innen des Austauschprogramms für Nichtregierungsorganisationen zwischen China und der EU

Meine wahrscheinlich lustigste Taxifahrt ever

An einem Nachmittag machen wir eine Exkursion zu einem Stadtteilzentrum, das in kleinem Rahmen vor Ort Müll recycelt. Wir nehmen ein Taxi.

Der Taxifahrer ist erst etwas zögerlich, drei europäische Männer mitzunehmen, unsere chinesische Kollegin überzeugt ihn aber.

Was dann kommt, ist wahrscheinlich die lustigste Taxifahrt, die ich jemals erlebt habe. Nachdem der Fahrer unsere Nationalitäten erfragt hat (belgisch, englisch, deutsch), hält er uns einen Vortrag über europäischen Fußball. Das Ganze mit Lautstärke, Überzeugung und Bestimmtheit. Würde unsere Kollegin nicht übersetzen, würden wir annehmen, er rede über äußerst ernste, staatstragende Dinge.

Deutschland ist fußballmäßig ganz klar sein Favorit. Als der belgische Kollege einwendet, Belgien sei doch bei der WM weiter gekommen als Deutschland, wird er vom Fahrer in strengem Ton gemaßregelt. Die Deutschen seien die Besten, das sei schon seit Beckenbauer so! Es sind Momente wie dieser, die den Aufenthalt hier so interessant machen.

Essen spielt in China und bei diesem Austausch eine wichtige Rolle

In der Gruppe lernen wir uns in den drei Tagen immer besser kennen. Das passiert mal wieder beim Essen (Essen spielt in China eine extrem wichtige Rolle) und bei einem Ausflug zu einer Panda-Aufzuchtstation. Immer wieder ergeben sich so Gespräche mit den verschiedenen Teilnehmer_innen. In der Gruppe entsteht ganz schnell ein Wir-Gefühl.

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Gemeinsam essen stärkt das Wir-Gefühl

Nachdem Pan mir erzählte, dass Chengdu die Schwulenhauptstadt Chinas ist, und ein paar chinesische Kolleginnen unbedingt mal in eine Schwulenbar wollten, feierten wir am letzten Abend unseren Abschied im „Hunk“, einer Bar mit kühlem Ambiente und lauter Musik, wie es sie auch in Berlin geben könnte. Mit unser Gruppe haben wir trotzdem viel Spaß. Schade, dass es schon unser letzter Abend ist.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Zurück in Hefei überkommt mich eine leichte Melancholie. Beim Workshop habe ich interessante, aufgeschlossene und kreative Menschen kennengelernt, mit denen man ernsthaft an Themen arbeiten und ebenso viel Spaß haben konnte. Ob sie Chines_innen oder Europäer_innen waren, spielte dabei keine Rolle. Gemeinsamkeiten haben definitiv eine weitaus größere Rolle gespielt als Unterschiede.

Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden beschäftigt mich weiter. Wenn ich durch Hefei laufe, fühlt es sich auf den ersten Blick gar nicht so fremd an, wie ich es mir vorgestellt hatte. Menschen gehen einkaufen, sitzen in Restaurants, es gibt McDonald’s und Starbucks, junge Menschen tragen westliche Markenklamotten.

Das Wort Häusermeer ist hier definitiv passend

Unübersehbar ist, in welch ungeheurem Ausmaß hier Neubauten entstehen. An jeder Ecke wird gebaut. Das Wort Häusermeer ist hier definitiv passend. Wobei damit Hochhäuser mit 40, 50 Stockwerken gemeint sind. Das Land boomt, das ist überhaupt nicht zu übersehen.

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An jeder Ecke wird gebaut. Das Wort Häusermeer beschreibt es passend. Hochhäuser mit 40, 50 Stockwerken sind keine Seltenheit.

Chinesische Leistungsgesellschaft, digital

Leistungsbereitschaft ist hier ein sehr hoher Wert. Chines_innen scheinen alle Workoholics zu sein.

Der hohe Leistungsdruck beginnt schon in der Schule und setzt sich im Arbeitsleben fort, das haben mir mehrere der chinesischen Kolleg_innen erzählt.

Fast alle haben zwei Smartphones, ein privates und eines für die Arbeit, damit sie ständig erreichbar sind. Bei uns hätte schon längst der Betriebsrat interveniert.

Überhaupt Smartphone: Ohne geht gar nicht. Mit dem Smartphone wird telefoniert, ununterbrochen getextet – und bezahlt.

Das nicht nur in großen Geschäften, sondern auch am kleinsten Straßenstand. Und mit dem Smartphone wird natürlich auch gedatet. Was für Schwule in Deutschland PlanetRomeo oder Grindr sind, ist für den chinesischen schwulen Mann Blued. Pan hat es mir eben auf meinem Smartphone installiert.

Das Pendant zur Rice-Queen (Europäer und andere Nicht-Asiaten, die auf Asiaten stehen) ist übrigens die Potatoe-Queen (Asiaten, die auf Europäer stehen). Das hatte ich bisher noch nicht gewusst.

Das Austauschprogramm zeigt jetzt schon erste Erfolge 😉

Fortsetzung folgt. Zàijiàn aus China!

 

Teil 1 (Die Ankunft) vom 31.8.2018 findet sich hier: https://magazin.hiv/2018/08/31/bock-bloggt-1-die-ankunft/

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Werner Bock

Werner Bock ist Mitarbeiter der Deutschen AIDS-Hilfe. Seit vielen Jahren ist er im Bereich Beratung tätig.

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