Rainer Schilling hat die Deutsche Aidshilfe mit aufgebaut und zwei Jahrzehnte lang die Präventionsarbeit maßgeblich geprägt. Zu seinem 80. Geburtstag gratulieren Weggefährt*innen und Freund*innen.

Rainer Schilling ist nicht nur ein Urgestein der deutschen Schwulenbewegung, er war auch von der ersten Stunde an mit dabei, als es auch in Deutschland darum ging, auf die Aidskrise zu reagieren. Allererste Informationen zu der neuen Erkrankung hatte Rainer Schilling 1982 von einer Reise nach San Francisco mit nach Berlin gebracht. Er gehörte 1983 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Aidshilfe (DAH, damals noch Deutsche A.I.D.S.-Hilfe) und kümmerte sich als „Referent für Schwule und Stricher“ von 1987 bis 2008 maßgeblich um die Prävention von Männern, die Sex mit Männern haben. Dazu holte er auch die Betreiber*innen von Saunen und Bars mit ins Boot, um an diesen Szeneorten Aufklärung und Safer-Sex-Angebote direkt an den Mann zu bringen.

Viele der Broschüren, Safer-Sex-Plakate und anderen Infomaterialien, die von Rainer Schilling entwickelt und produziert wurden, waren wegweisend und wurden weltweit adaptiert. Er hat damit nicht nur maßgeblich die Bildsprache der HIV-Prävention geprägt, sondern auch ein positives Bild schwuler Sexualität und Lebenswelten in die Gesellschaft getragen.

Präventionspolitische Pionierarbeit

Lieber Rainer,
kurz vor der Jahreswende trafen wir uns nach vielen Jahren wieder einmal persönlich – in der Ausstellung mit vielen Männerbildern von Jürgen Wittdorf im Schloss Biesdorf. Es war schön, Dich wach und munter zu erleben, und gleich kamen mir natürlich Erinnerungen an die späten 80er- und 90er-Jahre, als Du in der Deutschen Aidshilfe für die HIV-Prävention bei schwulen Männern zuständig warst und ich als Experte aus der Wissenschaft mich um das gleiche Thema kümmerte. Ich weiß noch, dass wir damals bei meinen Besuchen in der DAH auf Podien, bei Workshops und Konferenzen allerlei Differenzen hatten. Ich weiß nicht mehr genau, was die Themen waren, aber vermutlich ging es um unterschiedliche Auffassungen darüber, was ‚strukturelle Prävention‘ in der praktischen Umsetzung bedeuten soll. Die Kontroversen sind verblasst, sie sind aus heutiger Sicht wahrscheinlich auch nicht sehr bedeutend. Geblieben sind Bilder und das Gefühl einer Zeit, in der wir beide – jeder an seinem Platz – präventionspolitische Pionierarbeit geleistet haben und damit im Ergebnis die Dynamik der Aids-Epidemie in Deutschland brechen konnten. Das ist ein bleibender Erfolg, auf den Du stolz sein kannst und der auch dadurch nicht kleiner wird, dass unsere Gedanken, Konzepte und Erfahrungen bei der Eindämmung der Corona-Epidemie so vollständig ‚vergessen‘ worden sind. Was gut ist, kommt wieder.
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Gesundheitswissenschaftler, 1988–2012 Leiter der Forschungsgruppe Public Health im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, seit 2012 ehrenamtlicher Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband

Die Welt (der Schwulen) zu einer besseren machen

Ein Engagierter von Anfang an

Rainer Schilling war jahrzehntelang bei der DAH für das schwule Leben zuständig. Während dieser langen Zeit habe ich mit ihm immer wieder gesprochen, diskutiert und auch gestritten. Das war zumeist ein Vergnügen. Denn der aus der Schwulenbewegung Kommende war ein Engagierter von Anfang an. Für ihn war der Arbeitsplatz bei der DAH auch ein Ort, um die Welt der Schwulen, ja die Welt überhaupt, zu einer besseren zu machen. Das ist ihm, wenigstens teilweise, gelungen. Unter seiner Ägide sind Plakate erschienen, auf denen die Schönheit schwuler Sexualität gefeiert wurde. Diese Visualisierung der Homosexualität wirkte wie ein Gegengift gegen die im Gefolge von Aids erneuerte Verdammung schwuler Existenz. Für ihn war die Prävention nicht nur ein Mittel, HIV-Übertragungen zu verhindern. Mit dem von ihm vertretenen Präventionskonzept sollte zugleich die Angst vor Aids, die gleichbedeutend mit dem Fatum des baldigen Todes war, gebündelt und eingedämmt werden. Nicht zuletzt versuchte er, mit seinem Konzept des Safer Sex den schwulen Sex vor dem Verschwinden zu retten. Das ist ihm, wofür der Weiterbetrieb der kondomisierten Saunen das beste Beispiel liefert, schließlich auch noch gelungen. Ich gratuliere!
Prof. Dr. Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler

Postkarte aus der Schilling-Ära, erschienen 1996, Foto: Michael Taubenheim

Bester HIV-Präventionist

Wir sind stolz auf dich

Lieber Rainer,
ich wünsche dir von Herzen alles Gute zu deinem 80. Geburtstag. Ich hoffe, du bist jung geblieben und fällst in Berlin nicht mehr von Fahrrädern und verlierst dabei Handy und Portemonnaie. Du warst immer ein super Mitarbeiter der Deutschen Aidshilfe und bester HIV-Präventionist. Deine Verdienste für die schwule Bewegung gehen auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Wir sind stolz auf dich! Als Mann muss man dich noch erziehen, dass du nicht alles verlierst – von meinen Hausschlüsseln bis zu deiner Unschuld – vor meiner Wohnungstür. Ich wünsche dir einen wunderschönen Abend und ich freue mich, wenn in Berlin bin, um mit dir gemeinsam zu feiern.
Laura Halding-Hoppenheit, HIV- und LGBTIQ-Aktivistin

Urgestein der Schwulenbewegung

Die Strukturelle Prävention treibt dich heute noch um

Lieber Rainer,
ich weiß, dass Du wegen deines 80. Geburtstag kein großes Gewese möchtest. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Und Dir gebührt ganz große Ehre und maximaler Respekt! Die Deutsche Aidshilfe wird dieses Jahr 40 Jahre jung. Du – ein Urgestein der Schwulenbewegung – bist Gründungsmitglied, Fördermitglied und hast als Schwulenreferent 20 Jahre die Arbeit der DAH ganz entscheidend mit viel Kreativität, Leidenschaft, Herzblut und Streitbarkeit mitgeprägt. Deine viel gelobten, manchmal auch umstrittenen Plakate und Broschüren sind im Kontext der damaligen Zeit entstanden. Aus heutiger Sicht sind manche zeitlos (schön) und aktuell. Davon konnte ich mich erst vor Kurzem auf einer kleinen Ausstellung in Schwäbisch Gmünd überzeugen. Auch nach deiner Verrentung 2008 bist Du der DAH eng verbunden geblieben, u. a. als Vorstand der Berliner Aids-Hilfe und als Mitglied des Delegiertenrates. Die Strukturelle Prävention treibt dich heute noch um und (fast) nichts kann dich mehr ärgern, als wenn Fakten falsch wiedergegeben oder verzerrt dargestellt werden. Nun steht auch bei mir die Rente vor der Tür und ich freue mich auf unsere Italienreise. Du wirst mit mir wieder jeden Tag unermüdlich auf den Spuren des Stauferkaisers Friedrich II. von Kulturgütern zu Naturschönheiten wandeln und Du wirst deinen abendlichen Aperol Spritz genießen. Für deine unwiderstehliche Kochkunst mache ich gerne den Abwasch. Glücklicherweise bist Du nach deiner Verrentung weiterhin umtriebig geblieben. Gesundheitlich bist Du so robust wie die unverwüstlichen Windsor-Queens. Das lässt mich noch auf die eine oder andere Italienreise hoffen. Danke für alles! Alles Gute zum Geburtstag!
Peter Stuhlmüller, Geschäftsführer der Deutschen Aidshilfe

Plakat von 1995 aus der Ära Schilling, Foto: Michael Taubenheim, Gestaltung: W. Mudra

Eine allseitig entwickelte Persönlichkeit

Die Safer-Sex-Plakate der ‚Ära Schilling‘ waren ein durchschlagender Erfolg

Rainer Schilling war immer eine allseitig entwickelte Persönlichkeit. Er war engagiert im „Verein für Sexuelle Gleichberechtigung“ (VSG), im München der Siebzigerjahre, von ihm selbst als „Nusskuchenfraktion“ der Schwulenbewegung bezeichnet. Rainer war lange Zeit Schwulenreferent der DAH. Die Safer-Sex-Plakate der „Ära Schilling“ waren ein durchschlagender Erfolg. Seine präventions- und schwulenpolitische Überzeugungen diskutiert Rainer gerne im persönlichen Gespräch, dabei gehörte zu seinem rhetorischen Kampfinstrument die Kunst des unvollendeten Satzes. Rainer schätzt korrekte Kleidung, das macht: Rainer ist eine allseitig entfaltete Persönlichkeit, wenn auch nicht streng sozialistisch…
Dr. Michael Bochow, Soziologe

Geburtshelfer der Deutschen Aidshilfe

Lieber Rainer,
herzlichen Glückwunsch zu Deinem 80. Geburtstag! Die bekannte Psychologin Bljuma Zeigarnik hat vor etwa 100 Jahren in Berlin die These entwickelt, dass unerledigte Handlungen Spannungszustände verursachen, an die man sich besser erinnert als an abgeschlossene. Dieser bei Dir seit Jahrzehnten anhaltende Zustand beschreibt meines Erachtens sehr gut Dein spannungsgeladenes Verhältnis zum Mutterhaus und der Anstalt DAH. Wenn wir uns im Alltag begegnen, sei es beim Essen, Skatspielen oder Telefonieren, sei es bei Kulturveranstaltungen, lässt dieses Thema nicht lange auf sich warten. Gemeinsam feiert ihr im Jahre 2023 eure Geburtstage, Du heute Deinen Achtzigsten und im September, halb so alt, die DAH ihren Vierzigsten. Die DAH – Dein Baby, Dein Kind – kann sich auch nach 40 Jahren noch so abstrampeln, aller Welt beweisen, dass sie inzwischen unabhängig, routiniert und professionell geworden ist; Du als einer ihrer Geburtshelfer magst das bis heute nicht so recht glauben und endlich loslassen. Lieber Rainer, bleib weiterhin gesund und widerspenstig, genieße die Saunagänge und freue Dich daran, dass Du Dich inzwischen zum ausgewiesenen Experten für exquisites Innendesign entwickelt hast. Chapeau!
Hans Hengelein, langjähriger HIV-Referent der Deutschen Aids-Hilfe bzw. erster Referent für homosexuelle Lebensweisen im niedersächsischen Sozialministerium sowie ab 2006 Aidskoordinator des Landes

Die Spuren des Rainer Schilling

Deine Plakate sind weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden

Lieber Rainer,
80 Jahre alt wirst du jetzt. Meine Güte, wer hätte das gedacht. Als wir damals „dafür auf die Straße gegangen sind“, hätten wir uns nicht vorstellen können, dass wir so alt werden – geschweige denn, dass wir überhaupt daran gedacht hätten. Aber jetzt sind wir es. Ich diesjährig 70 und Du 80. Als langjähriger Kollege wurde ich angefragt, Dir einen kurzen Geburtstagsgruß zu senden. Das mache ich sehr gerne und hoffe, dieser Gruß erreicht Dich in einer aktuellen Verfassung, die Dich die 80 einigermaßen leicht ertragen und sogar feiern lässt. Die Entropien des Alters sind sehr vielfältig und stellen eine eigene Lebensaufgabe dar.
Du hast es wirklich geschafft, in der Zeit, in der Du bei der Deutschen Aidshilfe gearbeitet hast, in der Geschichte der schwulen Männer Spuren zu hinterlassen, an die ich in diesem Feierzusammenhang noch einmal deutlich erinnern möchte. Die Plakate, Broschüren und Anzeigen der HIV-Prävention bei schwulen und bisexuellen Männern haben das Leben der schwulen Männer in Deutschland über zwei Jahrzehnte begleitet und kommentiert. Die Plakate sind weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden. Und in Nordamerika und in fast ganz Europa gab es nicht wenige schwule Kneipen und schwule Saunen, in denen nicht wenigstens EIN Produkt aus der Abteilung für schwule/bisexuelle Männer und Stricher zu sehen war. Keine Lederkneipe von Anchorage bis Sydney, in der nicht Dein Plakat „Einfühlsam“ gehangen hätte. Ausgehend von dem, was Dir am Wichtigsten war, nämlich dem Schrecken von Aids mit einem kämpferischen „Dennoch“ die Freuden der Sexualität entgegenhalten, hast Du früh bereits Themen aufgegriffen, die jetzt längst selbstverständlich geworden sind, z. B. schwule Beziehungen oder auch das Alter oder Sexualität und Ethik. Auch wenn diese Produkte nirgendwo von Dir signiert worden waren, im Mutterhaus und bei den Mitgliedsorganisationen der DAH waren es die Plakate, die Broschüren und die Anzeigen „vom Schilling“. Im Grunde ist das auch richtig, denn selbst wenn Du stets in enger Kooperation mit Grafikern, Designern und der Zielgruppe gearbeitet hast, trugen Ausgangsidee und letzte Fassung Deine Handschrift. Im Rahmen meines Geburtstagsgrußes wollte ich unbedingt noch einmal daran erinnern.

Es grüßt dich ganz herzlich,
Dein ehemaliger Kollege in der DAH
Clemens Sindelar

Danke, Rainer!

Die Deutsche Aidshilfe ohne Rainer Schilling? Nicht vorstellbar!

Die Deutsche Aidshilfe ohne Rainer Schilling? Nicht vorstellbar! Und das meint nicht nur den Dachverband und seine Bundesgeschäftsstelle in Berlin, die du über 20 Jahre als „Schwulenreferent“ geprägt hast, es meint den Verband insgesamt, in München, in Berlin, aber auch überall sonst, wo du Diskurse der Aidshilfebewegung geprägt und ihr mit deinen Plakaten Gesicht gegeben hast. Nicht nur durch die Motive, die heute manch ein schwules Wohnzimmer schmücken, sondern ebenso durch das immer wieder erfolgte Aufgreifen neuer Themen, ausgehend von der fundierten theoretischen Analyse. Auch wenn die „Schwulenbewegung“ langsam ein Wort für die Historiker*innen wird: Das Aidshilfe in ihr und in dem, was sich heute aus ihr entwickelt, eine feste Größe ist, ist nicht zuletzt auch dein Verdienst. Für den Vorstand der Deutschen Aidshilfe sage ich daher nicht nur herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, sondern auch ein großes Danke für deinen Einsatz!
Winfried Holz, Vorstandmitglied der Deutschen Aidshilfe

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. Lieber Rainer,

    schon vor deiner Zeit als Mitglied des Vorstands der Berliner Aids-Hilfe kannten wir dich als unglaublich dynamischen und engagierten Streiter im Kampf gegen HIV. Mit den von dir entwickelten Medien, den Postern und Broschüren warst du immer am aktuellen Geschehen, hattest ein genaues Gespür dafür, was wir regionalen Aids-Hilfen benötigen, um Zielgruppen punktgenau zu erreichen. Mit all deinem gelebten Wissen warst und bist du ein streitbarer Geist im besten Sinne, weil es dir im Diskurs nicht ums Gewinnen sondern um Wahrheitsfindung geht. Das machte dich zum Vorbild für uns Mitarbeiter*innen in der Berliner Aids-Hilfe.

    Eine deiner besonderen Stärken: deine unglaubliche sprachliche Genauigkeit: Sprechen wir von der Stigmatisierung der HIV-Infektion oder der Menschen mit HIV?! Immer legtest du den Finger in die Wunde sprachlicher Unsauberkeit. Und das ist wichtig und richtig. Denn über die Sprache können wir unsere Welt reflektieren und ins richtige Licht rücken.

    In deiner Zeit als Vorstandsmitglied der Berliner Aids-Hilfe hast du mit dafür gesorgt, dass wir unser partizipatives Denken bewahren, unsere Arbeit kritisch hinterfragen und dass die Meinungen derer geachtet werden, mit denen und für die wir letztlich arbeiten. Jederzeit konnten die Jüngeren unter uns auf dein Wissen zurückgreifen, als Aktivist der Aids- aber auch der Schwulenbewegung. Als aktivistischer Streiter warst du ein unverzichtbarer Garant dafür, dass die Ansätze der strukturellen Prävention immer im politischen Gehör verhaftet blieben.

    Nun feierst du mit deinem 80. einen besonderen, runden Geburtstag. Dazu gratulieren dir der Vorstand und das gesamte Team der Berliner Aids-Hilfe von ganzem Herzen!

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