2018 im Rückblick: Meilensteine, Schlagzeilen und Ereignisse
Januar
10 Jahre Swiss Statement zum Schutz durch Therapie: HIV kann unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht übertragen werden.
Am 30. Januar 2008 wurde dieser Fakt, der vielen Ärzt_innen und Wissenschaftler_innen bereits bekannt war, mit dem sogenannten EKAF-Papier (international als Swiss Statement bekannt) erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.
magazin.hiv hat zum Jubiläum eine Seite mit allen wichtigen Informationen zur sexuellen Nichtübertragbarkeit unter Therapie zusammengestellt und außerdem mit zwei Menschen gesprochen, die maßgeblich am Erfolg dieser wegweisenden Veröffentlichung beteiligt waren, nämlich dem damaligen EKAF-Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza sowie der HIV-Aktivistin Michèle Meyer.
März
„Gesundheit ist ein Menschenrecht!“: Wer eine Krankenkassenkarte besitzt, hat in Deutschland Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Doch was, wenn jemand keine Krankenversicherung hat – oder sogar keine Aufenthaltspapiere?
Am 20. März setzte ein breites Aktionsbündnis vor dem Brandenburger Tor in Berlin ein Zeichen für das Menschenrecht auf Gesundheit und forderte unter anderem bundespolitische Lösungen.
April
HIV-Coming-out von Conchita: Am 16. April 2018 outete sich der österreichische Eurovision-Song-Contest-Gewinner Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst als HIV-positiv, um so einer Erpressung durch einen Ex-Partner zuvorzukommen.
„Ich gebe auch in Zukunft niemandem das Recht, mir Angst zu machen und mein Leben derart zu beeinflussen“, schrieb Conchita in den Sozialen Medien.
Das selbstbewusste und souveräne Statement sorgte international für Schlagzeilen. Die Deutsche AIDS-Hilfe begrüßt den Schritt. Auch der Aktivist und Blogger Marcel Dams zeigte sich von Conchitas klaren Worten begeistert.
„HIV erkennen. Tipps für Hausärzte“: „Was hätten Sie bei Regina diagnostiziert?“ – Diese Frage stellt die Deutsche AIDS-Hilfe im April Deutschlands Hausärzt_innen.
Sie soll Ärzt_innen erkennen helfen, wann ein HIV-Test angebracht ist, damit sie ihn diesen Patient_innen möglichst frühzeitig anbieten. Jedes Jahr erkranken in Deutschland nämlich mehr als 1.000 Menschen an Aids oder einem schweren Immundefekt, weil sie nichts von ihrer HIV-Infektion wissen oder weil Symptome nicht erkannt wurden.
Mai
Neues Internetportal gegen HIV-Diskriminierung: Menschen mit HIV erleben auch heute noch Diskriminierung, etwa im Beruf oder im Gesundheitswesen.
Das neue Portal HIV-Diskriminierung.de bietet ihnen nun Informationen und Unterstützung, um sich zu wehren.
Zugleich dient die Webseite als Meldestelle für selbst oder von anderen erlebte Diskriminierung.
Handreichung für die eine moderne Drogenpolitik: Drogenprobleme löst man nicht mit strafrechtlicher Verfolgung von Konsumierenden.
Mit der Broschüre „Eine moderne Drogenpolitik nützt allen“ legen akzept e.V., die Deutsche AIDS-Hilfe und JES im Mai 2018 eine Handreichung vor, die den politisch Verantwortlichen anhand evaluierter Strategien und Best-Practice Beispiele aus anderen Ländern kurz und prägnant skizziert, wie sich individuelle und gesellschaftliche Schäden durch Drogen eindämmen ließen.
ICH WEISS WAS ICH TU verpasst sich einen Relaunch: Zum zehnjährigen Bestehen erscheint das Onlineportal der schwulen DAH-Kampagne IWWIT im komplett neuen Look.
Auch inhaltlich gibt es einen Neustart. Unter dem Motto „Safer Sex 3.0 – Mehr Safer. Mehr Sex. Du entscheidest.“ wird über die drei wichtigsten Schutzmöglichkeiten vor HIV – Kondom, Schutz durch Therapie und PrEP – informiert.
Juni
Entpathologisierung von trans* Menschen: Der grundlegend überarbeitete Krankheitenkatalog ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bringt auch eine wichtige Neuerung für trans* Personen. Sie gelten nun endlich nicht mehr als psychisch krank. Stattdessen wird in der Neuauflage des internationalen Diagnosekatalogs Transgender unter dem Überbegriff „Conditions related to sexual health“ (auf Deutsch etwa: mit der sexuellen Gesundheit zusammenhängende Umstände) die Kategorie „Gender incongruence“ eingeführt. Definiert wird diese „Geschlechts-Inkongruenz“ als ausgeprägte und beständige Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.
Juli
Leitlinien für HIV-Prophylaxe: Erstmals liegen für die Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP, medizinische Leitlinien der zuständigen Fachgesellschaften aus Deutschland und Österreich vor. Sie regeln detailliert, wie die PrEP verordnet, eingenommen und ärztlich begleitet werden soll. Die Leitlinien schreiben unter anderem fest, dass die PrEP Menschen mit „substanziellem Risiko“ einer HIV-Infektion angeboten werden soll.
Die HIV-Prophylaxe PrEP soll Kassenleistung werden: Gesundheitsminister Jens Spahn will für Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko einen gesetzlichen Anspruch auf die Medikamente sowie die medizinische Begleitung schaffen.
Für den DAH-Vorstand Winfried Holz wäre eine solche neue Regelung „ein Meilenstein für die HIV-Prävention in Deutschland.“
Auch bei der Internationalen Aids-Konferenz in Amsterdam spielt die PrEP eine wichtige Rolle. Vorgestellt werden dort erste Zwischenergebnisse der dreijährigen französischen PrEP-Studie Prévenir. Rund 3.000 Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko nehmen an der Studie teil. Die ersten Daten zeigen: Die PrEP besteht den Alltagstest.
Das wichtigste Ergebnis aus Amsterdam aber ist: Die Schutzwirkung der HIV-Therapie ist endgültig zweifelsfrei bestätigt. Rund 1.000 Paare mit unterschiedlichem HIV-Status haben an der 2014 begonnenen Studie „PARTNER-2“ teilgenommen. Insgesamt hatten die teilnehmenden Paare 77.000 Mal Sex ohne Kondom. Ohne die HIV-Therapie würde man ca. 500 Infektionen erwarten. Es wurde jedoch keine einzige Infektion durch die eigenen, behandelten Partner_innen festgestellt.
HIV/STI-Test per Post im Modellprojekt S.A.M: Ein kleiner Stich in den Finger zur Blutentnahme, eine Urinprobe, einige Abstriche mit Wattestäbchen, die Proben in einem Plastikbeutel verstauen und ab die Post: So einfach funktioniert das neue Heimtest-System S.A.M für Checks auf HIV und Geschlechtskrankheiten. Das gemeinsam von der Münchner Aids-Hilfe und der DAH entwickelte innovative Konzept wird ein Jahr lang in Bayern erprobt.
August
Positive Begegnungen 2018 in Stuttgart: Die Demonstration durch die Stuttgarter City war ein Höhepunkt der 20. Konferenz zum Leben mit HIV. Unter dem Motto „HIV-Übertragung unter Therapie? Unmöglich!“ zogen rund 350 Menschen zur Abschlusskundgebung am Rotebühlplatz.
Arbeitgeber_innendeklaration zur Gleichbehandlung von Menschen mit HIV: Auf der Pressekonferenz anlässlich der 20. Positiven Begegnungen wurde erstmals eine Deklaration von Arbeitgeber_innen vorgestellt. Ihr Titel ist Programm: „Respekt und Selbstverständlichkeit: Für einen diskriminierungsfreien Umgang mit HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben“. Als erste Unternehmen haben IBM, Daimler und SAP erklärt, sich gegen die Benachteiligung von Menschen mit HIV im Arbeitsleben zu engagieren.
September
„Your health“ – Kondome werben für den HIV-Test: Mit Hilfe von 350.000 Kondomen informiert die DAH geflüchtete Menschen und andere Migrant_innen über das Gesundheitssystem in Deutschland, HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen. Die Aktion mit dem Titel „Your health“ ist Teil der Kampagne „Kein Aids für alle – bis 2020!“.
Neues Gütesiegel „Praxis Vielfalt“: Die Deutsche AIDS-Hilfe startet ein Fortbildungsprogramm für respektvolle, diskriminierungsfreie und fachgerechte Behandlung von Menschen mit HIV und LSBTIQ*. Die teilnehmenden Praxen und Ambulanzen erhalten nach erfolgreichem Abschluss das Gütesiegel „Praxis Vielfalt“. Die ersten Siegel, erworben in der Pilotphase des Projektes, werden im September 2018 bei einer Auftaktveranstaltung in Berlin verliehen.
Erstes verschreibungsfähiges Naloxon-Nasenspray ist auf dem Markt: Etwa 60 bis 70 Prozent der in Deutschland dokumentierten drogenbedingten Todesfälle sind die Folge einer nicht gewollten Überdosierung mit Opioiden wie Heroin, Fentanyl und anderen Medikamenten. In solchen Fällen kann das auch von Laien anwendbare Gegenmittel Naloxon Leben retten. Mit Naxoid ist nun erstmals ein solches Präparat für den deutschen Markt zugelassen, verschreibungsfähig und erstattungsfähig.
Heterosexuell und HIV-positiv: Der Fotograf Philipp Spiegel erfuhr 2014 von seiner HIV-Infektion. Wie er mit der Diagnose und dem Leben danach umgeht, schildert er in einer fünfteiligen Serie – für die Redaktion von magazin.hiv ein herausragender und vielbeachteter journalistischer Höhepunkt des zurückliegenden Jahres.
HIV-Selbsttest dürfen frei verkauft werden: Nachdem der Bundesrat einer Änderung der Medizinprodukteabgabeverordnung zugestimmt hat, ist seit Oktober der der HIV-Selbsttest endlich auch in Deutschland in Apotheken und Drogerien frei verkäuflich. Die Deutsche AIDS-Hilfe hatte sich lange für eine Freigabe stark gemacht, denn der Test für daheim senkt eine wichtige Hemmschwelle: Viele testen sich dadurch erstmals oder häufiger.
Oktober
Demonstration #unteilbar: Viele Mitarbeiter_innen der Deutschen AIDS-Hilfe nehmen am 13. Oktober zusammen mit zehntausenden Menschen aus ganz Deutschland an der Demonstration „Solidarität statt Ausgrenzung – für eine freie und offene Gesellschaft“ teil.
Neue Ehrenmitglieder der Deutschen AIDS-Hilfe: Mit Michèle Meyer und Wolfgang Vorhagen wurden zwei in jeder Hinsicht verdiente Aktivist_innen und Akteur_innen der HIV-Community zu DAH-Ehrenmitgliedern ernannt.
Die Schweizerin war mehrfach Teil der Vorbereitungsgruppen für die Selbsthilfekonferenz Positive Bewegungen, außerdem im Vorbereitungsgremium der bundesweiten Positiventreffen aktiv und für einige Jahre Teil der „PositHIVen Gesichter“.
Wolfgang Vorhagen hat in der Akademie Waldschlösschen als Pädagoge und Veranstaltungsleiter über drei Jahrzehnte für wichtige Impulse für die schwule Emanzipation und die LBGT-Selbsthilfe gesetzt und bereits seit 1986 maßgeblich zum Erfolg der bundesweiten Positiventreffen beigetragen.
Hans-Peter-Hauschild-Preis 2018: Das Nürnberger „Queer Café International“ wird als herausragendes, innovatives Projekt der strukturellen Prävention mit dem Hans-Peter-Hauschild-Preis ausgezeichnet. Das von Fliederlich e.V., dem Betreiber des SchwuLesBischen Zentrums Nürnberg, und der AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth initiierte Projekt bietet LGBTI-Geflüchteten und -Migrant_innen einen geschützten Raum, in dem sie sich dem queeren Leben in Deutschland annähern können.
Zehn Jahre ICH WEISS WAS ICH TU: Die schwule Präventionskampagne IWWIT feiert Jubiläum und zeigt im Rückblick, was das Projekt all die Jahre ausgemacht hat: Nämlich immer in Bewegung zu bleiben, Haltung zu zeigen und über Themen zu informieren, die die Community beschäftigen.
Trauer um Bernd Aretz: Er war über Jahrzehnte ein engagierter Mitstreiter in der schwulen wie in der HIV-Community, ein inspirierender und kluger Wegbegleiter und Freund und nicht zuletzt Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe. Am 23. Oktober verstarb Bernd Aretz nach langer Krankheit in seiner Wahlheimat Offenbach. In seinem letzten, ebenso offenherzigen wie bewegenden Interview zieht er seine persönliche Lebensbilanz.
November
Rückgang der HIV-Neuinfektionen: Auch 2017 ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland wieder leicht gesunken. Das Robert-Koch-Institut registrierte rund 2.700 neue HIV-Diagnosen – 200 weniger als im Jahr davor. Ein Faktor für den Rückgang: Seit der Änderung der Behandlungsleitlinien im Jahr 2015 erhalten Menschen mit HIV unmittelbar nach der Diagnose eine medikamentöse Behandlung und können durch die Therapie das Virus nicht mehr weitergeben.
DAH-Kampagne #wissenverdoppeln gestartet: Viele Bundesbürger_innen haben in Sachen HIV noch falsche Vorstellungen und Wissensdefizite. Dies will die Deutsche AIDS-Hilfe mit einer neuen Informationskampagne ändern.
Die wichtigste Botschaft: Unter Therapie ist HIV nicht mehr übertragbar. Innerhalb weniger Tage konnten dank der breiten Medienresonanz, aber auch durch die aktive Beteiligung von Politiker_innen wie dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, den Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Karin Maag und Georg Kippels (CDU) mehrere Millionen Menschen mit der Kampagne erreicht werden.
Dezember:
Bundestag beschließt Option zu drittem Geschlecht: Eltern können ihr Neugeborenes künftig als „divers“ ins Geburtenregister eintragen lassen, wenn es weder eindeutig als Mädchen noch eindeutig als Junge identifiziert werden kann. Zuvor war in diesen Fällen nur ein Eintrag ohne Geschlechtsangabe möglich. Kritik an der Gesetzesänderung gab es von den Grünen und dem Lesben- und Schwulenverband. Intersexualität werde mit dem Gesetz auf körperliche Abweichungen eingeengt, „divers“ solle aber allen Menschen offenstehen. Zudem sollten Änderungen des Vornamens und des rechtlichen Geschlechts auf Antrag beim Standesamt ermöglicht werden – und zwar ohne ärztliche Bescheinigung und die damit verbundenen „entwürdigenden Begutachtungen“.
Neue Regeln erleichtern die Substitutionsbehandlung: Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist die neue Anlage „Substitutionsgestützte Behandlung Opioidabhängiger“ der „Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung“ des Gemeinsamen Bundesausschusses in Kraft getreten. Damit ist die Neuregelung der Substitutionsbehandlung abgeschlossen. Deutlicher als bisher berücksichtigt, dass es sich bei der Opioidabhängigkeit um eine schwere chronische Erkrankung handelt, die in der Regel einer lebenslangen Behandlung bedarf. Die Substititution steht künftig unter dem Primat der Schadensminimierung (Harm Reduction) und nicht mehr der Abstinenz. Die Abstinenz soll aber weiterhin „im Zuge von zielorientierten motivierenden Gesprächen thematisiert und die Ergebnisse der Gespräche [sollen] dokumentiert werden“. Zugleich wird der bürokratische Aufwand in der medizinischen Versorgung von Opioidabhängigen deutich reduziert.
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