Welche Ereignisse rund um HIV und Aids haben uns im zurückliegenden Jahr besonders bewegt? Was waren die herausragenden Nachrichten? Ein Rückblick der magazin.hiv-Redaktion auf das Jahr 2015

Januar

Streit ums „Prostituiertenschutzgesetz“

In einem gemeinsamen offenen Brief kritisieren Organisationen wie die Deutsche AIDS-Hilfe, der Deutsche Frauenrat und die Diakonie Deutschland entscheidende Eckpunkte der geplanten Gesetzesnovelle. Die vorgesehenen Maßnahmen, darunter verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen, die Anhebung des Mindestalters auf 21 Jahre und eine Anmeldepflicht für Prostituierte, werden als kontraproduktiv für die HIV-Prävention gewertet.

Februar

Preispoker um Sovaldi

Die deutschen Krankenkassen und das US-amerikanische Pharmaunternehmen Gilead Sciences einigen sich auf einen Preis für das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi, das Heilungsraten von über 90 Prozent aufweist. Der Erstattungsbetrag je Monatspackung des Arzneimittels mit dem Wirkstoff Sofosbuvir liegt demnach bei rund 14.500 Euro (abzüglich Rabatt), während die Herstellungskosten bei einem Bruchteil dieses Betrages liegen. Die Kosten für eine durchschnittlich zwölfwöchige Therapie belaufen sich auf ca. 43.500 Euro. Die Preispolitik von Gilead bei der „1000-Dollar-Pille“ hat international Kritik und Proteste hervorgerufen.

Die PrEP funktioniert!

junger mann
„Ich bin IPERGAY. Und ihr?“

Zwei Studien, die auf der wichtigsten medizinischen HIV-Konferenz, der CROI, in Seattle vorgestellt werden, belegen erstmals eine zuverlässige Wirkung der sogenannten Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) bei schwulen Männern mit hohem HIV-Risiko: Die PROUD-Studie hatte untersucht, wie gut das HIV-Medikament Truvada bei dauerhafter Einnahme vor einer HIV-Infektion schützt. Die IPERGAY-Studie ermöglichte ihren Teilnehmern, das Präparat anlassbezogen für einige Tage zu nehmen. Beide Studien ermitteln einen Schutzeffekt von mindestens 86 Prozent.
In einem offenen Brief fordern europäische HIV- und LGBT-Community-Organisationen – darunter die Deutsche AIDS-Hilfe – die pharmazeutische Industrie sowie die zuständigen Behörden auf, schnellstmöglich HIV-Medikamente auch zur Vorbeugung verfügbar zu machen.

März

Grundsatzurteil zum Blutspendeverbot für homosexuelle Männer

Der Ausschluss schwuler Männer von der Blutspende kann nur gerechtfertigt sein, wenn mit ihrer Spende ein erhöhtes HIV-Risiko für Empfänger verbunden ist. Zuvor muss aber geprüft werden, ob der Schutz der Empfänger_innen nicht auch mit anderen technischen Mitteln realisierbar wäre, die HIV in Blutspenden nachweisen und damit ein hohes Maß an Sicherheit bieten. Zu diesem grundsätzlichen Urteil gelangt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Ausgangspunkt des Verfahrens war eine französische Blutspende-Richtlinie, die Männer mit sexuellen Beziehungen zu Männern ausschließt.

April

Resolution des Europarats für die Rechte von Trans*-Personen

Mit deutlicher Mehrheit fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarates ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Trans*-Menschen sowie umfassende Maßnahmen, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten werden unter anderem dazu aufgefordert, Trans*-Personen eine Änderung der Geschlechtsangabe und des Namens in offiziellen Dokumenten zu erleichtern. Medizinische Interventionen wie Hormontherapie, Operationen und psychologische Unterstützung sollen durch die Krankenversicherung abgedeckt, transphobe Taten als Hassverbrechen eingestuft und juristisch verfolgt werden.

Logo Sprungbrett

Start des Buddy-Projekte „Sprungbrett“

Nach rund zweijähriger Vorbereitung durch die Themenwerkstatt „Der kollektive Umgang mit (verinnerlichter) Stigmatisierung, Schuld und Verantwortung“ nimmt das europaweit einmalige Buddy-Projekt „Sprungbrett“ seine Arbeit auf. Erfahrene HIV-Positive unterstützen dabei Menschen mit einer frischen HIV-Diagnose: Sie hören ihnen zu, geben ihre Erfahrungen und ihr Wissen weiter und helfen so bei den ersten Schritten in das neue Leben mit dem Virus.

 

Mai

START-Studie weist Nutzen des frühen Therapiebeginns nach

Je früher sie antiretrovirale Medikamente einnehmen, desto besser für HIV-Positive. Zu diesem Ergebnis kommt die internationale START-Studie (Strategic Timing of Antiretroviral Treatment).
Bereits bei der Zwischenauswertung der randomisierten klinischen Studie hat sich erwiesen, dass mit einem Therapiebeginn bei über 500 Helferzellen bessere Behandlungsergebnisse erzielt werden als bei einem späteren Start der antiretroviralen Therapie

Umschlag SuchtberichtZweiter Alternativer Drogen- und Suchtbericht

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist dringend reformbedürftig. Es verfehlt nicht nur sein Ziel, Drogenkonsum und dessen schädliche Folgen für Individuen und Gesellschaft zu verhindern, sondern es bringt diese Schäden selbst mit hervor. Zu diesem Schluss kommt der Alternative Drogen- und Suchtbericht, der bereits zum zweiten Mal von der Deutschen AIDS-Hilfe zusammen mit akzept e.V., dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, und dem Bundesverband JES herausgegeben wird.

Akzept e.V. und JES als Interessenvertretungen der Drogenselbsthilfe wie auch der Selbsthilfe-Verein VISION feiern 2015 ihr 25-jähriges Bestehen.

Juni

Appell gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen

In einem gemeinsamen Appell anlässlich des Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses fordern führende HIV/Aids-Organisationen in Deutschland ein Ende der Diskriminierung von Menschen mit HIV im Gesundheitswesen. „HIV-positive Patienten dürfen keine Nachteile bei Zugang und Versorgung haben“, erklären die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG), die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) sowie die DAH.

Diagnostisches Fenster beim HIV-Test verringert sich

Um eine HIV-Infektion sicher auszuschließen, muss zwischen der potenziellen Risikosituation und dem Bluttest eine bestimmte Zeit vergehen. Diese„diagnostisches Lücke“ lag bisher bei drei Monaten, wird bei modernen Labortests aber nun auf nur noch sechs Wochen verkürzt. Möglich macht dies die vierte Generation von Labortests, die auf den kombinierten Nachweis von HIV-Antigen und -Antikörpern setzen. Bei Schnelltests bleibt die diagnostische Lücke dagegen bei drei Monaten oder 12 Wochen.

Juli

Bayern hebt Arbeitsverbot für HIV-positive Gefangene auf

Der Protest der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der DAH-Kontaktstelle für HIV-bedingte Diskriminierung und anderer zeigt Wirkung: Das bayrische Justizministerium hebt eine umstrittene Verwaltungsvorschrift auf, wonach „zur Vermeidung unbegründeter Ängste“ Gefangene mit einer „ansteckungsfähigen HIV-Erkrankung“ zum Beispiel nicht in der Küche oder als Friseur eingesetzt werden dürfen.

August

Deutsche AIDS-Hilfe fordert bessere Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge

„#RefugeesWelcome – wir sind dabei!“ – unter diesem Titel und mit diesem Hashtag führt die Deutsche AIDS-Hilfe auf ihrem Blog magazin.hiv und in den Sozialen Medien eine Aktion durch, die sich für die Menschenrechte von Flüchtlingen mit und ohne HIV einsetzt. „Die wachsende Hilfsbereitschaft wollen wir mittragen. Hass, Rassismus und Gewalt treten wir entschieden entgegen“, erklärt Ulf Hentschke-Kristal stellvertretend für den DAH-Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe und fordert die Politik auf, Flüchtlingen nicht nur adäquate Test-Angebote, sondern auch einen unkomplizierten Zugang zu einer vollwertigen Beratung und Behandlung zu ermöglichen.

Logo Amnesty InternationalAmnesty International stimmt für die Legalisierung von Sexarbeit

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verabschiedet eine wegweisende Resolution: Die Staaten werden aufgefordert, alle Aspekte einvernehmlicher sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen zu entkriminalisieren sowie Maßnahmen zu treffen, damit Sexarbeiter_innen diskriminierungsfrei vor Ausbeutung, Menschenhandel und Gewalt geschützt sind. Die Resolution hat im Vorfeld zu heftigen Protesten geführt. In einem offenen Brief stärkten Selbsthilfeorganisationen hingegen Amnesty den Rücken, und über tausend Unterzeichner_innen, darunter auch die Deutsche AIDS-Hilfe, appellierten an die Organisation, trotz des öffentlichen Drucks Kurs zu halten.

Sachsen beendet HIV-Zwangstests für Asylbewerber

Das sächsische Sozialministerium ändert eine umstrittene Verwaltungsvorschrift. Statt wie bislang standardmäßig alle Asylbewerber_innen einem routinemäßigen HIV-Test zu unterziehen, sollen nunmehr Gesundheitsämter zu HIV, Hepatitis C und sexuell übertragbaren Infektionen beraten und entsprechende Tests nur noch risikoorientiert anbieten.

September

Protest gegen das geplante Prostituiertenschutzgesetz

Der von der Großen Koalition ausgehandelte Entwurf für das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ erntet erneut massive Kritik von Interessens- und Fachverbänden. In einer gemeinsamen Erklärung dringen zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter der Deutsche Frauenrat, die DAH und die Diakonie Deutschland, auf eine Änderung. Der Widerstand aus Verbänden, Ländern und Kommunen zeigt schließlich Wirkung. Die zuständige Frauen- und Familienministerin Manuela Schwesig kündigt im November eine Entschärfung des Gesetzentwurfs an.

Oktober

WHO LogoDie Weltgesundheitsorganisation rät zu frühestmöglicher Behandlung von HIV-Positiven

Die Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen ändert ihre Leitlinien zur antiretroviralen Therapie (ART) und zur Post-Expositions-Proyphlaxe (PrEP) und empfiehlt nunmehr, HIV-Infizierten möglichst unmittelbar nach der Diagnose eine ART anzubieten. Sie schließt sich damit der bereits in vielen Ländern praktizierten Haltung an. Menschen mit einem „wesentlich“ erhöhten HIV-Infektionsrisiko soll zudem eine Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) ermöglicht werden, um sich vor HIV zu schützen.

November

Charlie Sheen macht seine HIV-Infektion öffentlich

„Ich bin hier, um einzuräumen, dass ich HIV-positiv bin.“ Mit diesen Worten outet sich der US-Schauspieler Charlie Sheen in einer TV-Sendung und löst damit weltweite, zum Teil heftige Reaktionen aus. Der „Serienstar aus „Two and a Half Man“ erzählt, dass er vor vier Jahren seine HIV-Diagnose erhalten hat und deswegen erpresst worden ist.

Frankreich kündigt bezahlte HIV-PrEP an

Die verschiedenen PrEP-Studien haben auch die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine überzeugt. Sie kündigt vor der Nationalversammlung an, dass ab 2016 unter bestimmten Bedingungen die medikamentöse Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zum Schutz vor HIV durch die Sozialversicherung finanziert wird.

mehrere GesichterAktion „Wir machen’s ohne“ polarisiert

Die von HIV-Aktivist_innen initiierte Facebook-Aktion „Wir machen’s ohne – Safer Sex durch HIV-Therapie“ löst zum Teil heftige Reaktionen aus und zeigt, wie wenig in der breiten Bevölkerung über die Nichtinfektiosität von therapierten HIV-Positiven bekannt ist. Anlass für die Aktion waren zum Teil unfachliche Medienberichte sowie Anfeindungen von Politikern, die ein HIV-positiver junger Mann aus NRW erleben musste, nachdem er bei Facebook gepostet hatte: „Ich habe regelmäßig Sex ohne Kondom. Schutz durch Therapie macht es möglich“.

Dezember

Hilfsorganisationen fordern Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere oder Versicherung

Anlässlich des Tags der Menschenrechte am 10. Dezember fordert die Bundesinitiative HIV und Migration Zugang zur Gesundheitsversorgung  für Menschen ohne Aufenthaltspapiere und EU-Bürger_innen ohne Krankenversicherung. Dazu erklärt DAH-Vorständin Sylvia Urban: „Ein Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung ist ethisch, epidemiologisch und ökonomisch geboten. Die Politik steht in der Pflicht, die Praktiker mit diesem Problem nicht länger allein zu lassen. Gesundheit ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht!“ Der Ausschluss von medizinischer Behandlung führe nicht selten zu vermeidbaren schweren Erkrankungen wie Aids – teilweise mit tödlichen Folgen – und trage zugleich zur Verbreitung von Infektionen wie HIV bei.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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