Die Bundesregierung plant ein neues Prostitutionsgesetz, das Sexarbeiterinnen vor Ausbeutung schützen und ihre Gesundheit fördern soll. Leider zeigen die Details, dass die Verantwortlichen wenig von den Problemen in der Sexarbeit verstehen.

Wenigstens in einem sind sich alle einig: Das seit 2002 geltende Prostitutionsgesetz war nicht der Weisheit letzter Schluss. Der Versuch, den Sexarbeite­rinnen die Möglichkeit einer sozialversicherten Anstellung zu eröffnen, war gut gemeint. In der Praxis nützt sie aber nur wenigen. „Die meisten Sexarbeiterinnen arbeiten lieber selbstständig“, sagt Ma­rianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe. „Sie möchten selbst entscheiden, wo, mit wem und wie lange sie tätig sind. Das lässt sich nur schwierig in ein Angestelltenverhältnis einbinden.“

Im Herbst 2013 beschloss die Große Ko­alition einmütig, das Prostitutionsgesetz zu verbessern. Am 1. Januar 2016 soll das neue Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft treten. Aber mit der Einigkeit ist es schon wieder vorbei, denn bei den nun vorliegenden Eckpunkten hat sich der konservative Flügel der Union durchgesetzt. Bordelle sollen schärfer kontrolliert werden, außerdem ist eine Anmeldepflicht für Sexarbeite­rinnen vorgesehen.

Gute Ziele, schlechte Mittel

Die in den Eckpunkten angepeilten Ziele des Gesetzes kann auch die Deutsche AIDS-Hilfe voll und ganz unterstützen. Das künftige Gesetz soll unter anderem

  • das Selbstbestimmungsrecht und die Rechtssicherheit der Sexarbeiterinnen stärken
  • durch Fachgesetze „verträgliche Ar­beitsbedingungen“ und „den Schutz der Gesundheit“ garantieren
  • Menschenhandel, Gewalt und Ausbeu­tung in der Sexarbeit bekämpfen.

Gleichzeit aber taucht in den Zielformu­lierungen die 2002 eigentlich überwun­dene Kontrollfantasie auf, Prostitution „durch ordnungsrechtliche Instrumente“ zu überwachen und „sozial unverträg­liche (…) Auswirkungen der Prostituti­onsausübung (…) zu verdrängen“. Mit anderen Worten: Die Prostitution soll aus dem öffentlichen Leben verschwinden.

Die Prostitution soll aus dem öffentlichen Leben verschwinden

So soll für alle „Prostitutionsstätten“ künftig eine Erlaubnis nötig sein, die über die normale Gewerbeordnung hi­nausgeht. Sie ist mit hohen Auflagen ver­bunden, die viele Anbieter abschrecken dürfte. Besonders im Fokus: sogenannte Wohnungsbordelle in Mietshäusern. „Das neue Gesetz würde ausgerechnet diese Wohngemeinschaften erschweren, die sich Frauen selbst organisieren – zu ihrem eigenen Schutz und ohne Zuhäl­ter“, sagt Marianne Rademacher. „Es wäre schlimm, wenn die Behörden diese Arbeitsform zerschlagen würden.“

Auch ein Mindestalter für die Ausübung von Sexarbeit ist noch nicht vom Tisch. Zuletzt hatte das SPD-geführte Sozialministerium in Niedersachsen eine sol­che Altersgrenze gefordert. Die Union ist sowieso dafür. Erst ab 21 sollen Frauen legal anschaffen können. Doch das Mindestalter würde die Situation ausgerech­net für die jüngsten Frauen verschlech­tern. „Der Zugang zu relativ sicheren Arbeitsplätzen in festen Häusern wäre den 18- bis 20-Jährigen dadurch ver­wehrt“, erläutert Marianne Rademacher. Als Alternative bleibt der Straßenstrich. „Der birgt hohe Risiken, insbesondere für Personen mit geringen Erfahrungen in der Prostitution.“ Zudem seien die Frauen für Präventionsangebote dann nur noch schwer ansprechbar – sie müs­sen ja stets mit Verhaftung wegen ille­galer Prostitution rechnen.

Gesundheit durch Kontrolle?

An manchen Stellen wirkt das Eck­punktepapier, als wolle die Große Koa­lition Sexarbeiterinnen zu ihrem gesund­heitlichen Glück zwingen. Ein zentraler Punkt ist die Registrierungspflicht, die über die Gewerbeanmeldung hinausgeht. Ausgerechnet hier sollen die Antragstel­lerinnen auf Angebote zur Gesundheits­beratung hingewiesen werden.

„Die Eckpunkte der Regierungsfrakti­onen orientieren sich zu sehr an Kontrol­len und Strafen“, kritisiert Marianne Rademacher. „Aber Kontrollen in der Sexarbeit wirken nicht, sondern schre­cken ab.“ Hinzu kommt: Zwei Drittel der Sexarbeiterinnen kommen nicht aus Deutschland. „Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus entziehen sich ohnehin der Kontrolle, weil sie ständig fürchten müssen, abgeschoben zu werden“, erklärt Rademacher.

„Kontrollen wirken nicht, sondern schre­cken ab.“

Auch Marianne Rademacher kennt die zum Teil schlechten Bedingungen in der Sexarbeit. Sie zweifelt aber, ob strengere Gesetze daran etwas ändern werden. „Die Regierungsfraktionen tun so, als ob Missstände in Bordellen nur mit neuen Kontrollinstrumenten behoben werden könnten“, kritisiert Rademacher. Aber schon heute ermögliche es die Gewerbe­ordnung, einschlägig vorbestraften Men­schen den Betrieb eines Bordells zu un­tersagen. „Das Sexgewerbe braucht keine Sondergesetze, sondern offizielle Ar­beitsstandards. Die gilt es unter Einbezie­hung aller Beteiligten zu entwickeln.“

Menschenhandel bekämpfen

Das Problem bei der ganzen Sache ist: Die Abgeordneten sprechen oft von Prostitution, meinen aber Menschenhan­del. Den gibt es in Deutschland tatsäch­lich. Doch Hungerlöhne, Erpressung und Gewalt sind kein Phänomen, das nur in der Sexarbeit vorkommt. Auch Hilfsarbeiter gehen in Deutschland auf den „Arbeitsstrich“ und nehmen aus wirt­schaftlicher Not unmenschliche Arbeits­bedingungen in Kauf. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt die Zahl der von Zwangsarbeit betroffenen Menschen in der Europäischen Union auf 880.000. Über die Hälfte davon Frauen. Ein Drittel der Fälle umfasst Sexarbeit, die Opfer arbeiten aber auch in Gastronomie, Pflege und Landwirtschaft.

Auch Hilfsarbeiter gehen in Deutschland auf den „Arbeitsstrich“

Die Bundesregierung könnte die Ausbeutung der zumeist aus Südosteuropa eingewanderten Arbeitskräfte deutlich verbessern: nicht durch das Prostitutionsgesetz, sondern durch bessere Aufenthaltsbedingungen. Schon seit zwei Jahren gibt es eine EU-Richtlinie gegen Menschenhandel. Sie soll die Rechte derjenigen stärken, die unter Zwang und Androhung von Gewalt arbeiten. In Deutschland hängt der Gesetzentwurf zur Abstimmung in den Bundesministerien fest.

Eine weitere wirksame Maßnahme gegen Menschenhandel könnte ein besserer Zeugenschutz sein. „Frauen, die gegen organisierte Kriminelle aussagen, sind bisher nur solange geschützt, wie das Verfahren läuft“, weiß Rademacher, „dann werden sie abgeschoben. Wer Angst vor Abschiebung hat, geht nicht zur Polizei.“

Sexarbeit normalisieren: Sozialberatung im Bordell

Eine echte Unterstützung für Frauen im Sex Business bieten Fachberatungsstellen für Sexarbeit in mehreren Großstädten an. Im Projekt ProfiS, unterstützt von der Deutschen AIDS-Hilfe, organisieren Sozialarbeiterinnen und geschulte Sexarbeiterinnen Fortbildungen dort, wo die Frauen Geld verdienen. „Die Themen sind breit gefächert“, berichtet Marianne Rademacher. „Es geht nicht nur um Safer Sex, sondern auch um Krankenversiche­rung und Rechtsberatung.“ Wichtige Themen für die meist ausländischen Frauen: Aufenthaltsrecht und das Verhal­ten bei Polizei-Razzien.

„Die Angebote müssen so niedrigschwel­lig sein wie nur möglich“

„Diese praktischen Tipps sind oft die Türöffner für weitergehende Beratung wie Gesundheitsförderung oder beruf­liche Umorientierung“, erklärt Radema­cher. „Die Trainerinnen des Projekts bie­ten ein großes Informationspaket an, um die Frauen zu stärken und zu professio­nalisieren.“ Seit 2010 sind die Sexarbeit-Workshops bundesweit verfügbar. Weit über 1.000 Personen haben schon an 170 Vor-Ort-Schulungen teilgenommen. Es fehlt allerdings an Ressourcen, um alle angemessen zu versorgen.

„Die Angebote müssen so niedrigschwel­lig sein wie nur möglich, die Frauen müs­sen auf Augenhöhe eingebunden sein“, betont Rademacher. Freiwillige und anonyme Angebote von Selbsthilfevereinen und Gesundheitsbehörden werden gut angenommen. Die geringe Zahl der HIV-Infektionen bei Sexarbeiterinnen in der Bundesrepublik bestätigt den Erfolg dieser Ansätze.

Auch das neue Gesetz bleibt Stückwerk

Mit dem neuen Prostitutionsgesetz droht nun wieder mehr Repression. Um die Zu­stimmung des Bundesrates sicherzustel­len, versprechen die Regierungsfrakti­onen in ihren Eckpunkten zudem, die Befugnisse der Länder in Sachen Prosti­tution nicht zu beschneiden. So können weiterhin Sperrgebiete angeordnet wer­den. „Schon das gültige Prostitutionsgesetz ist in weiten Teilen nie konsequent umgesetzt worden“, kritisiert Marianne Rademacher. Mit Sperrgebietsverord­nungen und über den Umweg des Bau­rechts haben vor allem die südlichen Bundesländer die gewünschte Liberali­sierung verhindert. „Behördenwillkür und regelmäßige Polizeikontrollen drän­gen das Sexgewerbe in die Illegalität“, sagt Rademacher. „Wir brauchen aber eine bundesweit einheitliche Rechtsicherheit, sowohl für Sexarbeiterinnen als auch für Betreiberinnen und Betrei­ber von Bordellen.“

„Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Rechtsicherheit“

Mit dem neuen Gesetz wird erst recht jedes Bundesland Rotlicht-Politik nach eigenem Gusto machen – inklusive fach­lich unsinniger Regelungen wie der „Kondompflicht“. Die versucht die baye­rische Polizei seit 2001 durchzusetzen, unter anderem, indem sie Beamte als „Scheinfreier“ in die Bordelle schickt. „Sexarbeiterinnen ziehen sich aufgrund solcher Repressalien eher zurück und sind für Gesundheitsberatung nicht mehr erreichbar“, sagt Marianne Rademacher. „Wer den Frauen im Gewerbe helfen möchte, muss ihnen mit Respekt und Toleranz begegnen.“

Philip Eicker

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