Um Aids bis 2030 beenden zu können, sollen künftig die besonders von HIV und Aids bedrohten und betroffenen Schlüsselgruppen und der Abbau von Ungleichheit im Mittelpunkt stehen.

Von Axel Schock und Holger Sweers

Die Vereinten Nationen haben 2015 beschlossen und 2016 in einer Politischen Erklärung bekräftigt, Aids als Pandemie bis Ende 2030 beenden. Festgehalten ist dieses Ziel auch in der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Das Ziel 3, „ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten und ihr Wohlergehen zu fördern“, schließt die Beendigung der Aids-, Tuberkulose- und Malaria-Epidemien ein.

Die 90-90-90-Ziele wurden verfehlt

Erreicht werden sollte dies mit dem „Fast-Track“-Ansatz, der HIV-Tests und -Behandlung bis Ende 2020 „auf die Überholspur“ setzte. Kern dieses Ansatzes waren die bereits 2014 formulierten „90-90-90“-Ziele: Bis 2020 sollten 90 Prozent aller HIV-Infektionen diagnostiziert sein, 90 Prozent aller Diagnostizierten sollten Zugang zu HIV-Medikamenten haben und bei 90 Prozent der Behandelten sollte kein Virus mehr nachweisbar sein.

Weitere Ziele bis 2020 waren die Reduzierung der HIV-Neuinfektionszahl und die Senkung der aidsbedingten Todesfälle auf jeweils weniger als 500.000 sowie die Beendigung von Diskriminierung – man sprach deshalb auch von den 90-90-90-0-Zielen, wobei 0 für null Diskriminierung stand.

Die Ergebnisse blieben allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Ende 2019 kannten weltweit erst 81 Prozent der Menschen mit HIV ihren Status, 82 Prozent davon erhielten eine Behandlung und bei 88 Prozent der Behandelten war die HIV-Vermehrung erfolgreich unterdrückt.

Zugleich wurden 2019 weltweit 1,7 Millionen HIV-Neuinfektionen registriert – mehr als das Dreifache des angestrebten Werts – und 690.000 Menschen starben an einer aidsbedingten Erkrankung. Für 2020 liegen noch keine Zahlen vor.

3,5 Millionen vermeidbare HIV-Infektionen und 820.000 vermeidbare Todesfälle

Dass die angestrebten Ziele nicht erreicht würden, war schon seit Längerem absehbar. So sanken die für die HIV-Prävention bereitgestellten Mittel in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen zwischen 2017 und 2019 um 7 Prozent, und in einigen Weltregionen stieg die Zahl der HIV-Infektionen, statt zu sinken (in Osteuropa und Zentralasien um 72 % zwischen 2010 und 2019, im Nahen Osten und Nordafrika um 22 % und in Lateinamerika um 21 %).

UNAIDS beklagte im Sommer 2020 bei der Vorstellung des Global AIDS Update, seit 2015 habe es durch das Verfehlen der Ziele 3,5 Millionen HIV-Infektionen und 820.000 aidsbedingte Todesfälle mehr gegeben, als bei Erreichen der Ziele zu erwarten gewesen wären.

Erneut wurde außerdem deutlich, wie sehr Ungleichheit, soziale Ausschlussmechanismen und Diskriminierung die HIV-Prävention behindern und das HIV-Risiko erhöhen: 2019 entfiel die Mehrzahl (62 %) der HIV-Infektionen unter Erwachsenen auf Menschen aus Schlüsselgruppen wie Sexarbeiter_innen, Drogengebraucher_innen, Inhaftierte, trans* Menschen sowie schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sowie ihre Partner_innen – obwohl sie nur einen kleinen Teil der Erdbevölkerung ausmachen.

UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima spricht von „kollektivem Versagen“, das einen schrecklichen Preis gekostet habe.

UNAIDS formuliert neue Zwischenziele: die „2025 AIDS Targets“

Um dennoch Aids bis 2030 zu beenden, hat UNAIDS nun neue Zwischenziele bis 2025 formuliert. Sie betonen strukturelle Faktoren und die nötige Vernetzung verschiedener Akteur_innen und Lebensbereiche und stellen die Schlüsselgruppen ins Zentrum der HIV-Prävention. Außerdem betten sie die HIV-Prävention stärker in das globale Engagement gegen Armut und Hunger, für das Recht auf Gesundheit und andere Menschenrechte sowie in die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung ein.

Die 2025-Ziele bilden drei zentrale Pfeiler:

  • Befähigendes Umfeld – die „10er“-Ziele
  • Zugang zu Gesundheitsangeboten: die „95er“-Ziele
  • Integration der Angebote: das „90er“-Ziel.

Befähigendes Umfeld: die 10er-Ziele

Hier geht es um die Beseitigung gesellschaftlicher und juristischer Hürden, die den Zugang zu HIV-Angeboten behindern. Bis 2025

  • soll es in weniger als 10 % der Länder besondere strafrechtliche Bestimmungen oder Regeln gegen die Schlüsselgruppen der HIV-Prävention geben,
  • sollen weniger als 10 % der Menschen aus diesen Schlüsselgruppen Stigmatisierung und Diskriminierung erleben und
  • sollen weniger als 10 % der Menschen aus den Schlüsselgruppen geschlechtsbasierte Ungleichheit und Gewalt erleben.

Zugang zu Gesundheitsangeboten: die 95er-Ziele

Die 90-90-90-Ziele werden gewissermaßen verschärft, hinzu kommt ein stärkerer Fokus auf Angebote zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit, zur Verhinderung von HIV-Übertragungen auf Babys in der Schwangerschaft, bei der Geburt oder beim Stillen sowie auf die Nutzung der verschiedenen Möglichkeiten, sich beim Sex oder Drogenkonsum vor HIV zu schützen.

  • 95 % der Menschen mit HIV sollen eine HIV-Diagnose bekommen haben.
  • 95 % der Menschen mit einer HIV-Diagnose sollen HIV-Medikamente erhalten.
  • Bei 95 % der Menschen, die HIV-Medikamente nehmen, soll die Virusvermehrung erfolgreich unterdrückt sein.
  • 95 % aller Schwangeren mit HIV sollen Zugang zu Maßnahmen haben, die eine Übertragung auf ihre Babys verhindern.
  • 95 % aller Frauen sollen Zugang zu HIV-bezogenen Angeboten sowie zu Angeboten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit haben.
  • 95 % der Menschen aus den Schlüsselgruppen sollen Methoden der sogenannten kombinierten Prävention nutzen. Dazu gehören zum Beispiel Kondome und Femidome, Schutz durch Therapie, die HIV-Prophylaxe PrEP oder die PEP, aber auch die Vergabe steriler Spritzen, Safer Use und Maßnahmen zur Schadensminimierung wie Drugchecking (die Analyse von Drogen auf Art und Menge der Inhaltsstoffe) oder die Vergabe von Naloxon, das bei Überdosierungen von Opioiden Leben rettet.

Integration: das 90er-Ziel

Angebote der HIV-Prävention und Versorgung sollen eng mit anderen Angeboten verknüpft sein, welche die von HIV und Aids besonders bedrohten und betroffenen Gruppen brauchen, um gesund und nachhaltig leben zu können.

  • 90 % der Menschen aus den Schlüsselgruppen sollen Zugang zu personzentrierten und kontextspezifischen integrierten Angeboten haben, die für ihre allgemeine Gesundheit wichtig sind. Dazu gehören etwa die psychische Gesundheit, die Prävention und Bekämpfung von geschlechtsbasierter Gewalt, sexuelle und reproduktive Gesundheit und entsprechende Rechte sowie die medizinische Versorgung bei übertragbaren wie nicht übertragbaren Krankheiten.

Die 2025-Ziele sind Teil der neuen UNAIDS-Strategie, die 2021 noch vor dem für Juni geplanten hochrangigen UN-Treffen zur Beendigung von Aids verabschiedet werden soll.

2025 AIDS targets von  UNAIDS (in englischer Sprache): https://aidstargets2025.unaids.org/

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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