(Foto: Gerd Altmann, pixelio.de)
Noch immer werden HIV-Positive im Arbeitsleben diskriminiert (Foto: Gerd Altmann, pixelio.de)

Rund zwei Drittel aller HIV-Positiven in Deutschland sind erwerbstätig. Viele stehen damit vor der Frage, wie sie mit ihrer Infektion am Arbeitsplatz umgehen sollen. Die Themenwerkstatt „HIV im Erwerbsleben“ will mit ihren Projekten Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern Hilfestellung geben. Von Axel Schock

Offenheit am Arbeitsplatz kann sich für HIV-positive Menschen auszahlen. Wenn Kollegen und Arbeitgeber über die gesundheitliche Situation Bescheid wissen, muss man keine Energie für Versteckspiele und Heimlichtuerei aufwenden und braucht Arztbesuche oder Leistungsschwankungen nicht zu kaschieren.

45 Prozent aller Menschen mit HIV, die im Arbeitsleben offen mit ihrer Infektion umgehen, berichteten in der Studie „positive stimmen“ von Unterstützung durch den Arbeitgeber – 26 Prozent allerdings auch von diskriminierenden Reaktionen.

 Anregungen für die Zusammenarbeit mit HIV-Positiven

Das Für und Wider eines Coming-out am Arbeitsplatz kann nur jede und jeder Einzelne für sich persönlich abwägen. Unterstützung bei der Entscheidungsfindung gibt seit kurzem ein Flyer der Deutschen AIDS-Hilfe. Doch genauso wichtig ist die Sensibilisierung der Arbeitgeber für einen fairen, vorurteilsfreien und entspannten Umgang mit HIV-positiven Mitarbeitern. Dieser Aufgabe widmet sich die 2012 bei den „Positiven Begegnungen“ in Wolfsburg gegründete Themenwerkstatt „HIV im Erwerbsleben“ mit ihrem ersten Projekt.

(Foto: DAH)
Auf der Demo der „Positiven Begegnungen“ 2012 in Wolfsburg (Foto: Martin Westphal)

„Wir haben uns zunächst gefragt, welche Bedingungen ein Unternehmen erfüllen sollte, um HIV-Positiven ein Coming-out am Arbeitsplatz zu ermöglichen“, berichtet Caro vom ersten Themenwerkstatt-Treffen, das im vergangenen September in Nürnberg stattfand. Daraus entstand die Idee, eine Broschüre zu entwickeln, die Arbeitgebern, aber auch Betriebsräten und Betriebsärzten Anregungen für die Zusammenarbeit mit HIV-Positiven geben sollte.

Appell an die soziale Verantwortung eines Unternehmens

Gleichzeitig, so Themenwerkstatt-Mitglied Frank, müsse schlüssig vermittelt werden, welchen Benefit Arbeitgeber aus der Beschäftigung HIV-positiver Mitarbeiter für ihr Unternehmen ziehen können. Hier kann es hilfreich sein, an die „Corporate Social Responsibility“ zu appellieren. Gerade für international operierende Firmen ist Sozialverantwortung ein wichtiger Aspekt ihres Images. Bosch und Siemens beispielsweise werden in diesem Zusammenhang immer wieder als vorbildlich genannt.

(Foto: Stephanie Hofschläger, pixelio.de)
HIV-positiv im Team: anders und trotzdem gleich (Foto: Stephanie Hofschläger, pixelio.de)

Hierzulande, sagt Caro, sei allerdings kaum bekannt, dass manche Unternehmen in Afrika die Therapiekosten ihrer HIV-positiven Mitarbeiter übernehmen, wenn die Krankenkassen dafür nicht aufkommen.

Aber auch über das Diversity-Management können Firmen in Sachen HIV sensibilisiert werden. Dass die Vielfalt der Mitarbeiter für ein modernes Unternehmen in mehrerlei Hinsicht bereichernd sein kann, hat sich mittlerweile in etlichen Konzernetagen herumgesprochen.

Ja zur Vielfalt der Mitarbeiter

Vor allem bei weltweit tätigen Konzernen, wie etwa dem Autohersteller Ford, ist die Devise „Null Toleranz für Diskriminierung“ schon länger fester Bestandteil der offiziellen Firmenphilosophie. Der Umgang mit HIV-Positiven könnte hier als sensibler Indikator dienen.

Mit ihrer Broschüre will die Themenwerkstatt den Entscheidungsträgern in Unternehmen nicht nur grundlegende Informationen zum heutigen Leben mit HIV geben, sondern auch Tipps für ein Betriebsklima, vom dem HIV-positive wie auch alle anderen Mitarbeiter profitieren können. Dass das Projekt nach einem letzten Feinschliff beim nächsten Themenwerkstatt-Treffen im Frühjahr bereits abgeschlossen sein wird, erstaunt die Mitglieder immer noch.

„Wir haben ein irrsinniges Tempo vorgelegt und uns die Ideen und Gedanken einfach nur so zugeworfen“, erzählt Frank begeistert vom ersten Treffen. „Wir konnten uns schnell auf ein Projekt und ein Thema einigen, ohne dass Einzelne deshalb beleidigt waren, weil ein Aspekt, der ihnen persönlich wichtiger war, erst einmal zurückgestellt wurde“, ergänzt Caro.

Die Mischung der Themenwerkstättler macht‘s

Dass das siebenköpfige Team so gut harmoniert und zusammenarbeitet, liegt nach Franks Einschätzung auch daran, dass sich die Mehrheit der Mitglieder bereits aus der Interessenvertretung „HIV im Erwerbsleben“ kennt. Caro empfindet auch die Mischung „Frauen, Männer, Angestellte und Freiberufler, Teil- und Vollzeitbeschäftigte, Menschen aus der Stadt und vom Land“ als bereichernd.

(Foto: Annamartha, pixelio.de)
Die Themenwerkstättler haben noch weitere Ideen fürs positive Miteinander im Betrieb (Foto: Annamartha, pixelio.de)

Die Broschüre allein, das ist den Themenwerkstättlern klar, wird die Arbeitswelt nicht flächendeckend revolutionieren können. „Dazu bedarf es auch breitenwirksamer Kampagnen und Veranstaltungen etwa der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder des Bundesministeriums für Gesundheit“, sagt Caro. Immerhin hat Ex-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr anlässlich des Welt-Aids-Tags 2013 die Arbeitgeber dazu aufgerufen, ein offenes Klima für HIV-Positive zu schaffen und Benachteiligungen im Arbeitsleben abzubauen.

Kriterien für ein HIV-freundliches Unternehmen

Ihre Broschüre versteht die Themenwerkstatt als einen Mosaikstein auf dem Weg dahin. Ein weiterer könnte ein Kriterienkatalog sein, anhand dessen man abfragen kann, inwieweit ein Unternehmen Positiven-freundlich agiert. Denn selbst wenn sich Firmen als tolerant und wach gegenüber Diskriminierungen bezeichnen, heißt das nicht unbedingt, dass damit auch an Beschäftigte mit HIV gedacht wird.

Im besten Fall, so die Themenwerstättler, würden Arbeitgeber ihre Firmenpolitik anhand des Kriterienkatalogs überprüfen und sich dann vielleicht sogar ein Zertifikat von der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) ausstellen lassen, das ihr Unternehmen als Positiven-freundlich ausweist. Ein solches Zertifikat müsste die DAH allerdings noch entwickeln.

Weitere Projektideen sind eine Handreichung für Beschäftigte, die am Arbeitsplatz ungewollt geoutet wurden, und eine Entscheidungshilfe für bereits berentete HIV-Positive, die wieder ins Berufsleben einsteigen wollen. Wie es scheint, wird der Themenwerkstatt „HIV im Erwerbsleben“ die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

Das nächste Treffen wird vom 4. bis 6. April 2014 stattfinden. Interessierte sind dazu herzlich willkommen.

 

Leitfaden „Coming-out am Arbeitsplatz“ (PDF-Datei)

DAH-Blog-Beiträge zu anderen Themenwerkstätten:

Das Buddy-Projekt der Themenwerkstatt „Der kollektive Umgang mit (verinnerlichter) Stigmatisierung, Schuld und Verantwortung“

Themenwerkstatt „HIV und Alter“– Vorurteilsfreie Versorgung im Alter?

Themenwerkstatt „Aidsgeschichte“ – Museumsreif

Auf geht’s: Neue Themen braucht das Land

 

 

 

 

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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