Angesichts der allgegenwärtigen News zur Corona-Pandemie und der realen Bedrohung reagiert unser Körper oft mit einer Stressreaktion. Wir geben Tipps, wie man mit Stress und Corona-Angst umgehen kann.

Von Steffen Taubert

Die Nachrichten zur Corona-Pandemie prasseln auf uns ein und wir verschlingen sie.

Wir verschlingen Nachrichten – und müssen aufpassen, dass sie nicht uns verschlingen

Das ist nachvollziehbar – schließlich geht es dabei um eine reale Bedrohung. Auch wenn diese Gefahr eine neue ist, unser Körper reagiert auf Bedrohungen seit Millionen von Jahren in gleicher Weise: Er aktiviert den Kampf-Flucht-Mechanismus, der auch als „Stressreaktion“ bezeichnet wird.

Wie stark die Stressreaktion ausfällt, hängt von vielen Faktoren ab. Beispielsweise von der Intensität des Stressreizes, von der eigenen Bewertung (Wie bedrohlich ist das für mich persönlich?) und den Erfahrungen mit ähnlichen Belastungserfahrungen.

Corona-Angst: Entscheidend ist, dass wir handlungsfähig bleiben

Letztlich entscheidet die wahrgenommene Kontrollierbarkeit der Situation darüber, ob ein kurzfristiger Stress zum Dauerstress wird.

Haben wir den Eindruck, hilflos zu sein und keinen Einfluss auf die Situation nehmen zu können, steigt der Stresspegel.

Kommen wir hingegen zur Überzeugung, Einfluss nehmen zu können, kann sich Handlungskompetenz aufbauen und der Stress abbauen.

Aktivierung ist sinnvoll, um uns zu schützen

Zunächst einmal ist eine Aktivierung eine angemessene Reaktion. Wir sind aufmerksamer und nehmen Wissen über die Bedrohung und Verhaltenstipps intensiv auf.

Nachrichten können helfen, Gefahren richtig einzuschätzen und uns richtig zu verhalten. Die meisten wissen deshalb mittlerweile, dass häufiges Händewaschen und körperliche Distanz sinnvolle Maßnahmen sind, um die Gefahren einer SARS-CoV-2-Übertragung zu mindern.

Nachrichten ohne Handlungsoption erzeugen Dauerstress

Viele der derzeit auf uns einstürmenden Nachrichten haben allerdings die Macht, unser Alarmsystem beständig auf Trab zu halten. Vor allem, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt kaum neue Handlungsoptionen bieten.

Mitunter nähren sie neue oder alt bekannte, vielleicht ansonsten gut kompensierte Ängste.

Aktivierung unseres Alarmsystems kann gut sein, Daueraktivierung schadet aber

Die Daueraktivierung kann zu einer Vielzahl an Stresssymptomen führen.

Innere Unruhe, Gereiztheit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannungen, Bluthochdruck gehören zu den häufigsten Symptomen.

Darüber hinaus kann Dauerstress das Immunsystem schwächen und die Anfälligkeit gegenüber Infekten erhöhen.

Stress abbauen in Zeiten der Krise

Wie ist es möglich, die nötigen und Handlungskompetenz aufbauenden Informationen aufzunehmen, sich aber davon nicht vollständig „auffressen“ zu lassen?

Wie können wir uns immer wieder in einen ausgeglichenen Zustand bringen, der es uns ermöglicht, auch die positiven Aspekte des Lebens wahrzunehmen? (Ja, die gibt es auch in Krisenzeiten!)

Aus der Krisenintervention und Burn-out-Prävention sind einige Methoden bekannt, die Menschen auch in der gegenwärtigen Situation weiterhelfen können:

  • Regelmäßig Sport/Bewegung. Sport ist eine der besten Möglichkeiten, aus dem Stress herauszukommen. In der Kampf-Flucht-Reaktion erwartet der Körper ja gerade Bewegung. Er hat sich über die Aktivierung des sympathischen Nervensystems (unter anderem hoher Puls, gestiegene Schweißproduktion und Muskelspannung) schon darauf vorbereitet. Durch Bewegung kann die Stressreaktion beendet und der Körper wieder in den „Normalzustand“ zurückversetzt werden.
  • Informationen reduzieren. Wir müssen die Katastrophen-News nicht im Minutentakt verfolgen. Regeln könnten sein: Prüfe, was die Nachrichten mit dir machen. Lege fest, wie häufig du dich informieren willst, und halte dich daran. Schalte ggf. die Push-Nachrichten deines Smartphones aus. Dann bestimmst du selbst darüber, zu welchem Zeitpunkt du welches Wissen konsumierst.
  • Gezielte Wahrnehmungslenkung (Gleichgewicht herstellen). Die Ereignisse in der Welt um uns herum sind vielfältig, widersprüchlich und vor allem gleichzeitig. Neben der Corona-Pandemie gibt es auch anderes Leid, zum Beispiel die Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze, ein Erdbeben in Kroatien. Und es gibt auch Vogelgezwitscher am Morgen, freundliche Gespräche mit Freund_innen, ein sinnliches Abendessen, Sex und anderes Schönes mehr. Um dein Gleichgewicht herzustellen, ist es hilfreich, die Aufmerksamkeit jeden Tag immer wieder auch auf positive Erfahrungen zu lenken. Erlaube dir Genuss auch in krisenhaften Zeiten. Probiere Neues aus, wenn Freude und Genuss bei dir bisher immer mit Gruppenaktivitäten verbunden waren. Wenn dir nichts einfällt, sprich doch mal mit Freund_innen darüber.
  • Gespräche bewusst führen. Auch wenn die Gefahr, die von der Corona-Epidemie ausgeht, sehr real ist, ist eine beständige Daueraktivierung für niemanden hilfreich. Hilfreich ist jedoch, sich sachlich zu informieren und gleichzeitig die Beschäftigung mit dem Thema zu begrenzen. Es kann außerdem helfen, mit Partner_innen und Freund_innen oder Arbeitskolleg_innen zu vereinbaren, dass zu bestimmten Zeiten nicht über Corona und die damit verbundenen Angsthemen gesprochen werden soll. Vielleicht ist es sogar möglich, stattdessen gezielt andere und positiv besetzte Gesprächsthemen zu wählen. Das wird vermutlich nicht immer gut funktionieren. Aber auch der Austausch mit Freund_innen darüber, was die Corona-Pandemie mit uns macht, kann Stress abbauen und uns bei der Bewältigung eigener, krisenhafter Zustände helfen.
  • Entspannung gezielt aufbauen. Entspannung und Angst funktionieren nicht gut zusammen. Gelingt es, Entspannung aufzubauen, nehmen die Ängste ab. Methoden wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Meditation und Yoga sind wirksame und gut evaluierte Entspannungsverfahren. Einige Krankenkassen bieten kostenfreie Audio- oder Online-Angebote dazu an. Manches findet sich unter diesen Stichwörtern auch auf YouTube.
  • Aktiv werden, statt sich ohnmächtig zu fühlen. Eine wichtige Form der Krisenbewältigung ist soziale Unterstützung. Das kann zum Beispiel heißen, Nachbar_innen oder Freund_innen zu helfen, die in Quarantäne sind oder sich aufgrund chronischer Erkrankung nicht mehr vor die Tür wagen. Im Internet finden sich nun auch viele andere Ideen, das soziale Miteinander zu stärken: Spendenaufrufe für Freiberufler_innen, Online-Konzerte, virtuelle Sportangebote für zu Hause usw. Aktiv werden hilft nicht nur anderen, sondern auch dem_der Helfenden. Er_sie kommt so aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus und wird wieder handlungsfähig.

„If You Can’t Go Outside, Go Inside!“

Die Corona-Pandemie ist eine Bedrohung, die die ganze Gesellschaft betrifft. Mit Maßnahmen wie der Quarantäne oder der Ausgangssperre gibt es massive Einschränkungen in unserer Bewegungsfreiheit. Es gibt kaum „Zufluchtsorte“, an denen das Thema nicht spürbar ist.

Das kann ängstlich, ohnmächtig oder wütend machen. Aber wir können in dieser Situation – durch Austausch mit Freund_innen oder Unbekannten – auch erfahren, dass wir mit unseren Sorgen nicht alleine dastehen.

Wir können das Übertragungsgeschehen des Coronavirus mit vielen Maßnahmen verringern. Darüber hinaus haben wir es jedoch nicht in der eigenen Hand, ob wir uns nicht vielleicht doch selbst anstecken.

Wir können eine Menge dafür tun, dass die „Corona-Krise“ nicht auch zur persönlichen Krise wird

Wir können aber eine Menge dafür tun, dass die „Corona-Krise“ nicht auch zur persönlichen Krise wird.

Im jetzt geforderten und für viele schwer auszuhaltenden „Social Distancing“, bei dem genau genommen ja nur ein körperliches Distanzieren gemeint sein kann, könnte gar eine Chance liegen.

Vielleicht üben oder reaktivieren wir andere Kommunikationsformen? Und Rückzug kann auch Raum und Zeit schaffen, über das eigene Leben nachzudenken.

Kommen wir gesund und mit nicht allzu vielen Blessuren aus dieser Zeit, finden wir uns vielleicht „danach“ mit einem neuen Kompass für die Zukunft wieder.

Steffen Taubert ist Diplom-Psychologe und in Sexualberatung sowie integrativer, körperorientierter Psychotherapie ausgebildet. Bei der Deutschen Aidshilfe ist er Referent für Psychosoziales und Qualitätsentwicklung.

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