Das Saarland hat striktere Regeln für die Prostitution beschlossen: Der Sperrbezirk in Saarbrücken wurde ausgeweitet, Polizei und Ordnungsämter haben mehr Kontrollrechte erhalten, und für Freier gibt es jetzt eine Kondompflicht. In Bayern gibt es eine solche Pflicht schon seit 13 Jahren – Frauke Oppenberg sprach darüber mit Tanja Sommer (52) aus Regensburg, seit sieben Jahren als Sexarbeiterin tätig und beim Berufsverband Sexwork Deutschland für die Mitgliederbetreuung zuständig

Tanja Sommer
Tanja Sommer: Die Kondompflicht für die Sexarbeit führt nicht zu weniger Sex ohne Kondom (Foto: privat)

Tanja, führt eine Kondompflicht zu weniger Sex ohne Kondom?

Definitiv nein. Das hat nicht unbedingt was mit Prostitution zu tun, denn auch im privaten Sektor ist es leider so, dass ganz viele ohne Kondom poppen. Viele Kunden, gerade in dem Alter so zwischen 35 und 60, können sich einfach mit dem Kondom nicht anfreunden. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht weil sie meinen, der Schutz ist nur dazu da, Schwangerschaften zu verhüten. Sie lassen sich einfach auf die Kondome nicht ein. Spätestens beim zweiten oder dritten Mal versuchen sie immer, ob es nicht auch ohne geht. Also nicht der Bezahl-Sex ist schuld daran, dass die Leute ohne Kondom vögeln, sondern die Leute vögeln ohne Kondom und nehmen diese Einstellung mit, wenn sie Bezahl-Sex wollen.

Viele Freier lassen sich einfach nicht auf Kondome ein

Was passiert denn, wenn ein Freier Sex ohne Kondom verlangt und die Sexarbeiterin das mit Hinweis auf die bestehende Regelung ablehnt?

Er versucht es zu umgehen. Er bietet entweder mehr Geld oder er zieht es einfach ab. Man muss ständig nachgucken, ob das Kondom noch da ist. Es ist ja so, dass sehr viele Sexarbeiterinnen auf einem Kondom bestehen. Ich schicke zum Beispiel Kunden weg, die ohne Kondom poppen wollen.

In Bayern besteht die Kondompflicht auch bei Oralverkehr. Wie gehst du damit um?

Wenn mich jemand am Telefon fragt, ob ich auch ohne blase, dann lautet meine Antwort: Wenn ich in Hessen oder in Baden-Württemberg wäre, könnten wir uns darüber unterhalten, aber in Bayern ist es verboten. Dann kann er es sich denken, dass ich es mache. Aber wenn er fragt, ob wir auch ohne Kondom ficken, dann kriegt er die ganz klare Antwort: Nein. Und da kannst du auch kommen und mir Geld bieten, soviel du möchtest, das tue ich nicht. Denn für mich gehört das dazu, dass ich als Sexarbeiterin ein Kondom benutze.

Kondomschachteln
Kondome der Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU (Foto: Dirk Hetzel/DAH)

Wie gehen deine Kolleginnen mit dem Dilemma um, entweder Kundschaft zu verlieren oder sich strafbar zu machen?

Entweder sie haben Umsatzeinbußen oder aber sie versuchen es zu umgehen, indem sie einfach nicht darüber reden. Es wird verschleiert angeboten mit „Französisch plus“ oder „Französisch extra“. Aber es ist halt immer eine gefährliche Sache, weil die bayerische Polizei Scheinfreier einsetzt. Die machen fingierte Termine und fragen auch nach ungeschütztem Oralverkehr. Und allein das Angebot bedeutet beim ersten Mal eine Ordnungswidrigkeit. Man bezahlt dann eine Summe im dreistelligen Bereich, das ist eine Ermessensfrage. Wenn man aber beharrlich dabei erwischt wird, kann es zu einer Straftat werden und das kann eine Haftstrafe bedeuten, von sechs Monaten aufwärts.

„Die Kondompflicht ist keine Hilfe für die Frauen im Gewerbe“

Damit werden also nur die Sexarbeiterinnen dafür verantwortlich gemacht, dass die Kondompflicht eingehalten wird. Könnte man stattdessen nicht auch die Freier zur Verantwortung ziehen? 

Das ist fast nicht möglich. Man müsste dann weibliche Lockvögel einsetzen, und das funktioniert nicht, weil das ganz schnell die Runde machen würde. Du kannst die Männer nicht kontrollieren. Du kannst sie nur dazu erziehen, dass sie die Kondome benutzen, indem man sie einfach aufklärt. Man kann keinem erwachsenen Menschen vorschreiben, wie er seine Sexualität lebt. Du kannst ihm nicht vorschreiben, das Rauchen sein zu lassen oder keinen Alkohol zu trinken. Wenn er das tun will, dann tut er das. Genauso wenig kann man einem Menschen vorschreiben, ob er Kondome nimmt oder nicht. Man kann nur immer wieder aufklären, dass es einfach schick wird, Kondome zu benutzen. Genauso ist es bei den Kolleginnen. Es gibt ja nicht nur die, die schon aufgeklärt sind. Es kommen auch sehr viele junge Frauen aus Ländern, in denen Kondombenutzung überhaupt nicht populär ist. Es braucht mehr gesundheitliche Aufklärung und mehr aufsuchende Präventionsarbeit.

Tanja Sommer im Bett
Tanja Sommer: Sexarbeiterinnen werden kriminalisiert (Foto: privat)

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Kondompflicht als eine Hilfestellung für die Frauen im Gewerbe bezeichnet.

Das ist keine Hilfestellung. Die einzige Folge einer Kondomverordnung ist, dass die Frauen wieder kriminalisiert werden. Es ist ein Rollback in alte Zeiten. Sexarbeiterinnen stehen unter dem Generalverdacht, sie würden ohne Kondom poppen. Das kann die Frau niemals beweisen, dass das gar nicht stimmt. Im Gegenteil werden die Frauen von den Scheinfreiern zu einer Ordnungswidrigkeit verleitet.

Gibt es denn Kolleginnen, die die Kondompflicht begrüßen? Hat die Regelung auch gute Seiten?

Das habe ich mich auch gefragt. Aber dadurch, dass ich deutschlandweit unterwegs bin, muss ich sagen, ich habe keinen Unterschied entdeckt zu Städten, wo es keine Kondompflicht gibt. Und die Kolleginnen, mit denen ich spreche, haben auch keine Unterschiede festgestellt, außer dass ständig diese Angst herrscht, dass man irgendeinem Scheinfreier aufsitzt. Eine Kondompflicht nützt niemandem. Es nutzt nur etwas, wenn man Kondome freiwillig benutzt. Zwang bringt nur Unsicherheit, und das ist etwas, was in unserem Beruf absolut nicht gut ist. Wenn du kein sicheres Auftreten gegenüber Kunden hast, kannst du keine Grenzen setzen. Wenn vor mir ein Kunde steht und Sex ohne Kondom verlangt, dann sag ich: „Du, da vorne ist die Tür. Geh.“ Wenn eine Frau unsicher ist, wird sie sich eher zu etwas drängen lassen, als eine Kollegin, die absolut sicher ist. Es braucht Regeln, die uns stärken, nicht welche, die uns schwächen.

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3 Kommentare

  1. Wie gehen deine Kolleginnen mit dem Dilemma um, entweder Kundschaft zu verlieren oder sich strafbar zu machen?

    Wie geht ihr von der Aidshilfe damit um, wenn das die einzige Frage ist, die euch dazu einfällt? Ist das alles, worum es bei Kondomen geht? Wie gehen sie mit der Angst um, infiziert zu werden? Mit Infektionen? Aber kann ja nicht sein, bei der Plüsch-Prostitution, die hier vorgemacht wird, gibt es das ja alles nicht.
    Inwiefern sind Beiträge, die klipp und klar signalisieren – leg Kohle hin, dann geht es schon, bist ja ein erwachsener Mann – Aufklärung? Ich ziehe die Frage zurück. Sie sind Aufklärung. Das schon.

    Könnt ihr euch drei Sekunden lang vorstellen, dass es in der Welt nicht nur ausschließlich um irgendetwas geht, was Männer gerade wollen?

  2. Liebe Inge Kleine, die Frage, wie die Sexarbeiterinnen mit dem beschriebenen Dilemma umgehen, ist natürlich nicht das einzige, was uns zum Thema einfällt. In unserer Arbeit geht es darum auszuloten, wie wir Sexarbeiterinnen am besten dabei unterstützen können, sich zu schützen.

    Die Deutsche AIDS-Hilfe unterstützt mit ihren Präventionsbotachaften die Benutzung von Kondomen. Sie schützen nicht nur vor HIV sondern mindern auch das Risiko einer Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Sexarbeiterinnen sind aufgrund ihres Berufes besonders gefährdet. Unsere Angebote für Sexarbeiterinnen haben das Ziel, die Frauen zu stärken damit sie eben nicht darauf eingehen müssen „was Männer gerade wollen“.

    Wie Tanja Sommer im Interview sagt, bringt eine „Kondompflicht“ keine Vorteile sondern führt zu einer Kriminalisierung von Sexarbeit. Damit wären die Frauen noch schlechter für Präventionsangebote und „Empowerment“ (Stärkung) zu erreichen.

  3. Was ich nie verstanden habe: Wenn allein die Freier eine Strafandrohung für die Nachfrage nach AO bekommen würden, wo ist da das Problem?

    Es würde sich entweder nichts ändern, weil die Polizei nicht weiß, wie sie es kontrollieren soll, also würde sich bei den Prostituierten auch nichts ändern (außer, dass – wenn die Info zu allen Migrantinnen durchdringt – sie wüssten, dass der Freier da was illegales fordert, was schlicht Empowerment im positivsten Sinne für ihre rechtliche Stellung in dieser Frage bedeuten würde).

    Oder es würde die Freier aufgrund hoher Strafen allein bei einer Frage nach AO dazu bringen, dass sie ihr Verhalten verstärkt reflektieren müssten und sich nunmal daran gewöhnen müssten, dass sie für ihre Spaßwünsche Frauen nicht ständig ganz selbstverständlich in Lebensgefahr bringen dürfen. Wie es in diesem ganzen System der Prostitituion irgendwie für alle ganz normal zu sein scheint. So auch hier… Man überlege sich mal ernsthaft, worum es geht: Spaß gegen Leben.

    Und… die Position der deutschen Aidshilfe finde ich hier sehr ausweichend, sehr wenig entschieden und sehr an der eigenen, vorwiegend männlichen Klientel und Mitarbeiterstruktur orientiert.

    Diese Art der Regelung – allein Strafbarkeit der Nachfrage nach AO, nicht des Angebots (welche Prostituierte _möchte_ schon ernsthaft ohne Kondom mit einem Fremden schlafen?) abzulehen, mal ehrlich: Gibt es dafür ein wirklich, der Ernsthaftigkeit und dem Ausmaß des Themas entsprechendes, wirklich rationales Argument?

    Ich werde das Gefühl nicht los, dass freierassoziierte Interessengruppen hinter der Forderung, dass es keine Art von Kondompflicht geben dürfe, stecken, wenn selbst das kategorisch abgelehnt wird.

    Dass Prostituierte nicht bestraft werden sollten, finde ich allerdings richtig. Ich lehne die bayrische Regelung deshalb ab. Dafür bin ich entschiedene Verfechterin der Einführung von verbindlichen gesetzlichen Regelungen für die Freier und eine ausschließliche Bestrafung auf deren Seite, wenn sie sich nicht daran halten.

    Und, gegen jede, absolut JEDE gesetzliche Regelung kann man hier folgenes einwenden:

    – Wie soll man das kontrollieren?
    – Das erhöht das Dunkelfeld.
    – Das kann man nicht verbieten, ist zu privat/intim/zu lange Usus, etc.

    … das ist Fatalismus, und… bequem, so zu argumentieren. Dann dürfte man gar nichts regeln in diesem Bereich, absolut gar nichts. Und das, wäre absolut zynische einseitig kunden- und betreiberorientierte Klientelpolitik. Ein Milliardenmarkt… wäre nicht unüblich.

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