Am Abend des 2. Mai 1983 zogen rund 10.000 Menschen beim ersten „AIDS Candlelight March“ der Welt durch San Francisco. Der Trauerzug sollte die an Aids Verstorbenen ehren, Menschen mit HIV unterstützen und die Öffentlichkeit aufrütteln. Heute wird das AIDS Candlelight Memorial an jedem dritten Sonntag im Mai begangen. Ein Kalenderblatt von Axel Schock

Das AIDS Candlelight Memorial erinnert an die an Aids Verstorbenen (Foto: www.candlelightmemorial.org).

Woche für Woche veröffentlichte das US-Seuchenzentrum neue Zahlen, und sie stiegen in erschreckendem Maße. 285 Fälle der rätselhaften Immunschwächekrankheit, damals noch Gay Related Immune Deficiency (GRID) genannt – zu Deutsch etwa „Schwulenbezogene Immunschwäche“ –, hatte man im März 1982 registriert. Ein Jahr später waren es 1112, Anfang Mai 1983 schon 1366 Fälle, und mehr als ein Drittel der Erkrankten war bereits verstorben.

San Francisco war neben New York am stärksten betroffen, und auch hier war die bislang so lebendige Schwulenszene in Angststarre verfallen. Noch war über diese Seuche so gut wie nichts bekannt, weder ihre Ursache, noch wie sie sich verbreitet. Auch einen Test gab es noch nicht. Nur Woche für Woche steigende Zahlen von Erkrankten und Toten.

Gary Walsh allerdings hatte es satt, dass seine Freunde, Nachbarn und Kollegen zu Zahlen in einer Statistik reduziert wurden. Der selbst an der Immunschwäche erkrankte Psychologe schlug daher während eines Treffens von Schwulenaktivisten im Harvey Milk Democratic Club von San Fransisco vor, ein öffentliches Zeichen zu setzen, worauf der Vorsitzende des Clubs allerdings mit der Schließung der Sitzung reagierte …

10.000 Menschen zogen mit Kerzen und Plakaten durch die Stadt

Gemeinsam mit fünf Freunden setzte Walsh die Idee dennoch um. Sie riefen mit selbstgefertigten Plakaten zu einem Trauermarsch auf, der am 2. Mai 1983 vom Castroviertel zum Civic Center der Stadt führen sollte. „Wir hatten keine Ahnung, ob überhaupt jemand kommen würde“, erinnerte sich anlässlich des 25. Jahrestages dieser Aktion Hank Wilson, der als einziger der Begründer überlebt hat. „Wir starteten mit unserer kleinen Kerngruppe in der Castro Street, und allmählich beteiligten sich mehr und mehr Menschen, die wie aus dem Nichts aufzutauchen schienen.“ Letztlich folgten rund 10.000 Bürgerinnen und Bürger San Franciscos mit brennenden Kerzen in der Hand dem Banner „Fighting For Our Lives“ („Wir kämpfen um unser Leben“), und erhellten die Innenstadt mit einem Lichtermeer.

Auf dem Platz der Vereinten Nationen, ganz in der Nähe des Rathauses, sprachen dann Menschen mit HIV und Aids über ihre Situation, über den Verlust ihrer Freunde, Partner und Liebhaber. Zugleich aber kritisierten sie die Gleichgültigkeit der Medien, die Homophobie der Gesellschaft und die Untätigkeit der Politik. Noch am selben Abend fanden dann auch in New York, Boston, Chicago, Dallas, Houston und anderen Städten ähnliche Veranstaltungen statt, nachdem erste Berichte über den Marsch in San Francisco durch die Medien gingen.

Es lag nahe, die Veranstaltung im Jahr darauf zu wiederholen. Doch die meisten Organisatoren waren bereits zu schwer erkrankt oder gar schon verstorben. 1985 wurde die Idee des Candlelight Memorials jedoch von anderen Aktivisten aufgegriffen und auch in anderen Städten der USA übernommen.

Brennende Kerzen
Mittlerweile finden AIDS Candlelight Memorials in fast 120 Ländern statt (Foto: www.candlelightmemorial.org).

Heute wird das Candlelight Memorial alljährlich am dritten Sonntag im Mai in rund 115 Länden rund um den Globus begangen. Bei über 2000 größeren und kleineren Veranstaltungen werden Kerzen in Erinnerung an die Verstorbenen und als ein Zeichen der Solidarität entzündet. Koordiniert werden die Veranstaltungen vom „Global Network of People living with HIV“, dem Globalen Netzwerk von Menschen mit HIV.

In diesem Jahr findet das Candlelight Memorial am Sonntag, dem 20. Mai, statt. Die gemeldeten Veranstaltungen, viele weitere Informationen sowie die Jubiläumsschrift zum 25-jährigen Jubiläum des „Candlelight Memorials“ im Jahr 2008 (alles in englischer Sprache) findet man unter www.candlelightmemorial.org.

Zurück

„Das Virus bringe ich mit ans Set“

Weiter

Irrungen und Wirrungen der Liebe

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

8 + 2 =

Das könnte dich auch interessieren