Das war unser 2024
Welche Ereignisse rund um HIV und Aids haben uns im zurückliegenden Jahr bewegt? Was waren herausragende Nachrichten, wichtige Themen und Debatten? Ein Rückblick unserer Onlineredaktion.
Lieferengpässe bei Medikamenten
Der Versorgungsmangel mit zum Teil lebenswichtigen Medikamenten hat sich weiter zugespitzt. Zeitweilig waren in Deutschland rund 500 Präparate nur schwer oder gar nicht lieferbar, darunter Antibiotika, Blutdrucksenker, Kinderarzneimittel – sowie auch Medikamente mit den Wirkstoffen Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil: Zum Jahresbeginn mussten deshalb PrEP-Nutzer*innen ihre HIV-Prophylaxe unterbrechen und HIV-Patient*innen ihre Therapien umstellen. Erst nach Monaten entspannte sich die Situation wieder.
Elektronische Patient*innenakte
2025 sollen nun alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patient*innenakte bekommen – es sei denn, sie widersprechen. An der Umsetzung gibt es viel Kritik, und auch die Deutsche Aidshilfe (DAH) fordert technische Nachbesserungen. Manuel Hofmann, DAH-Referent für Digitalisierung, war 2024 ein bei den Medien gefragter Interviewpartner, wenn es darum ging, die Schwachstellen der ePA aufzuzeigen. „Es fehlt an Komfortfunktionen für maximale, handhabbare Selbstbestimmung, etwa durch die Möglichkeit einer einfachen Anweisung wie ‚Ich möchte, dass meine Zahnärztin nichts von meiner HIV-Infektion erfährt‘“, erläuterte er beispielsweise im Gespräch mit heise.de.
Mit einer digitalen Handreichung informiert die DAH ausführlich über die elektronische Patient*innenakte, das Diskriminierungspotenzial und zeigt Möglichkeiten einer selbstbestimmten Nutzung.
HIV-bezogene Diskriminierung
Im Gesundheitswesen
Menschen mit HIV erleben auch heute noch Diskriminierung, sei es als Kund*innen von Dienstleistungen, Arbeitnehmende oder im Privatleben. Im Gesundheitswesen trifft es sie in einem besonders sensiblen Bereich. 2024 berichteten wir über den Fall eines Patienten in Bayern, dem seine langjährige Zahnärztin eine weitere Behandlung verweigert hatte, nachdem seine HIV-Infektion – auf noch dazu merkwürdige Weise – bekannt wurde.
Ursache für ein solches Fehlverhalten sind häufig fehlende oder veraltete Kenntnisse zu HIV. Auf dem neuen DAH-Onlineportal „Menschen mit HIV in Praxis, Klinik und Pflege“ können Beschäftige in den verschiedenen Gesundheitsberufen nun ihr Wissen auffrischen. Auf der Website sind neben umfangreichen Bildungsmaterialien auch Anregungen für einen zeitgemäßen Umgang mit der HIV-Infektion in Praxen, Ambulanzen und Kliniken sowie in der Alten- und Krankenpflege zu finden.
Im Berufsleben
Mit völlig veralteten Vorstellungen von HIV haben auch Beschäftige im Flugverkehr zu kämpfen. So werden Pilot*innen nach einer HIV-Diagnose pauschal als fluguntauglich eingestuft – unabhängig von ihrem tatsächlichen Gesundheitszustand. Infolgedessen dürfen sie entweder kein Flugzeug mehr steuern oder erhalten nach einem aufwendigen Verfahren lediglich ein stark eingeschränktes Flugtauglichkeitszeugnis. Berufseinsteiger*innen mit HIV bleibt der Weg zu einer Karriere als Pilot*in sogar ganz verwehrt. Der Berufsverband Cockpit e.V. setzt sich deshalb mit einem Positionspapier für eine Aktualisierung der entsprechenden medizinischen Regularien ein, die dem heutigen Stand der Wissenschaft gerecht wird.
Sven ist Pilot und HIV-positiv. In einem Video, aufgenommen auf der Welt-Aids-Konferenz 2024, kritisiert er die unnötigen Ausschlüsse von Bewerber*innen mit HIV in seinem Berufsfeld:
Lebenswirklichkeit geflüchteter Frauen
Anlässlich des feministischen Kampftages am 8. März 2024 widmete sich die DAH-Onlineredaktion der Situation geflüchteter Frauen. Sie sind oft mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt: bezogen auf ihre Geschlechtsidentität, ihre Herkunft und gegebenenfalls ihre Religion. Infolgedessen fühlen sie sich oft einsam, isoliert und in die Enge getrieben, wie Madeleine Mawamba von „Women in Exile“ im Interview erläuterte.
In einem weiteren Interview schilderte Mary aus Kenia die psychische Belastung, die aus der ständigen Angst vor Abschiebung erwächst. Sie berichtete auch von den Problemen, mit denen Frauen in Geflüchtetenunterkünften zu kämpfen haben, wie sexualisierter Gewalt, fehlender Privatsphäre und mangelnder Hygiene.
Das Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft
Nach monatelagen, zum Teil menschenverachtenden öffentlichen Diskussionen und einer emotionalen Debatte im Bundestag war es dann so weit: Eine klare Mehrheit der Abgeordneten stimmte am 12. April für das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG). Das diskriminierende und größtenteils verfassungswidrige „Transsexuellengesetz“ ist damit Geschichte. Auch die DAH hat diesen Meilenstein in der rechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt in den sozialen Medien gefeiert.
LGBTIQ* in Uganda und Ghana
In vielen Ländern leben LGBTIQ* in ständiger Gefahr. In Uganda steht bereits seit der britischen Kolonialzeit Homosexualität unter Strafe. Nach Inkrafttreten des „Anti-Homosexualitäts-Gesetzes“ 2023 aber drohen bei „homosexuellen Handlungen“ lange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe. Viele queere Menschen erleben Gewalt, trauen sich nicht mehr aus dem Haus, haben keinen Zugang mehr zu Prävention, Unterstützung und zur gesundheitlichen Versorgung. Ausgehend von aktuellen Gerichtsverfahren fordert der Anwalt und Aktivist Alex Martin Musiime in einem Gastbeitrag auf magazin.hiv dringend mehr internationale Solidarität: „Internationale Partner müssen bei ihrem Engagement in Uganda den Rechten von LGBTQ+ Vorrang einräumen und Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die Hass fördern.“
Was die Kriminalisierung marginalisierter Communitys für die HIV-Prävention bedeutet, erläutert Edward Motevi, Aktivist aus Uganda, in einem Video, aufgenommen auf der Welt-Aids-Konferenz in München.
Das Bündnis Queere Nothilfe Uganda, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen in Deutschland, Uganda und Ghana, darunter auch die DAH, unterstützt weiterhin queere Menschen in Uganda und setzt sich politisch für die Achtung ihrer Menschenrechte ein.
In Ghana wurde im Februar dieses Jahres ein ähnliches Anti-LGBTIQ-Gesetz vom Parlament verabschiedet. Der Entwurf muss noch vom Präsidenten unterzeichnet werden. Abdul-Wadud Mohammend von der Organisation LGBT+ Rights Ghana analysierte in einem Beitrag für magazin.hiv die komplexe und schwierige Situation für queere Menschen in Ghana.
Sexarbeit
Eine zweijährige Studie der Deutschen Aidshilfe nahm gezielt die gesundheitlichen Bedarfe von Sexarbeiter*innen in den Blick.
Ein zentrales Ergebnis: Es sind vor allem die finanzielle und soziale Benachteiligung sowie Gewalt, die das Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten erhöhen und die Gesundheit der Sexarbeiter*innen gefährden. Die Studie zeigt außerdem sehr deutlich: Jede Form von Arbeit unter nicht legalen Bedingungen verdrängt Sexarbeiter*innen in unsichtbare und unsichere Bereiche, wo sie für Prävention und Hilfsangebote nicht mehr erreichbar sind. Dringend notwendig sind ein Ausbau von Sozialarbeit und Beratung sowie das Schaffen von Räumen für den Austausch untereinander.
>> Zum Studienbericht: aidshilfe.de/sexarbeit-studie
Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin des Europarats von 2018 bis 2024, kommt in einem Aufsatz zu einem ähnlichen Schluss. Diskriminierung, Strafverfolgung und Gewalt seien einige der eklatantesten Probleme von Sexarbeiter*innen, deren Lösung einen menschenrechtsbasierten Ansatz erforderten. „Die Gleichsetzung von Sexarbeit mit Gewalt gegen Frauen lässt die Diversität der Menschen in der Sexarbeit sowie ihrer gelebten Realitäten und Kontexte außer Acht“, stellt die bosnische Politikerin fest. Dadurch würde deren Autonomie und Fähigkeit, über ihren Körper und ihr Leben selbst zu entscheiden, missachtet.
„Ein Hurenritt durch die Geschichte“
Auch im Berliner Schwulen Museum wurden 2024 gängige Narrative und Vorurteile über Sexarbeit hinterfragt. Die Ausstellung „With Legs Wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte“ wurde von einem Kollektiv von Sexarbeiter*innen kuratiert und erzählte die vielschichtige Geschichte der Sexarbeit.
Welt-Aids-Konferenz in München
Es war DAS Ereignis des Jahres für die HIV-Community. Zur AIDS 2024, der Internationalen Aids-Konferenz, waren über 10.000 Expert*innen aus mehr als 170 Ländern nach München gereist. Auch die DAH war selbstverständlich vor Ort und hat täglich über die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse wie auch über Aktionen und Ereignisse im Umfeld des Kongresses berichtet.
Ein Schwerpunkt der Konferenz war die Situation in Osteuropa. Wie es Menschen mit HIV aus der Ukraine derzeit ergeht, schilderte Daniel Kashintski am Rande des „Global Village“ auf der AIDS 2024:
Valeria Rachinskaya von der ukrainischen HIV-NGO 100% Life sprach mit uns über die Situation von Drogenkonsument*innen und der HIV-Versorgung in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine:
Das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine unterstützt seit 2022 queere Menschen, die aus der Ukraine fliehen mussten oder noch im Land sind.
„Global Aids Report“
Zur AIDS 2024 veröffentlichte die HIV-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS den aktuellen „Global Aids Report“. Die klare Botschaft: „Um Aids bis 2030 zu beenden, müssen die Staats- und Regierungschef*innen jetzt die nötigen Ressourcen bereitstellen und die Menschenrechte schützen.“ Wenn sie jetzt die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, könne sich die Zahl der Menschen mit HIV bis zum Jahr 2050 bei etwa 29 Millionen einpendeln. Wenn nicht, werde sie stattdessen auf geschätzte 46 Millionen steigen.
Deutsche Versäumnisse
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der Eröffnung der Welt-Aids-Konferenz zugesichert, dass Deutschland sich an den Bemühungen beteiligen werde, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Entscheidend seien mehr Forschung, bessere Prävention, patientenzentrierte Aufklärung und Information sowie der entschlossene Kampf gegen Diskriminierung.
Doch auch in Deutschland gibt es weiterhin Versorgungslücken. So haben Menschen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung noch immer keinen regulären Zugang zur HIV-Therapie.
Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich Abhilfe versprochen, verschleppt jedoch seither die angekündigte Reform der Übermittlungspflicht. Die Pflicht zu Übermittlungen an Ausländerbehörden nach § 87 Aufenthaltsgesetz hält Menschen aus Angst vor Abschiebung davon ab, medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Hoffnungsträger Lenacapavir
Als Game-Changer in der HIV-Prävention könnte sich Lenacapavir erweisen. In der PURPOSE-1-Studie senkte das halbjährlich als Spritze gegebene HIV-Medikament das HIV-Risiko bei cis Frauen um sagenhafte 100 Prozent. Doch vor allem für ärmere Länder könnte der vom Hersteller aufgerufene Preis deutlich zu hoch sein.
Lenacapavir ist bisher nur zur Behandlung für Menschen mit HIV zugelassen, die aufgrund von Resistenzen kaum andere Behandlungsmöglichkeiten haben, also noch nicht zur HIV-PrEP. In Deutschland hat der Hersteller Gilead das Mittel nicht auf den Markt gebracht, weil ihm der erwartete Preis zu niedrig war.
Auf der AIDS 2024 protestierten HIV-Aktivist*innen aus aller Welt gegen „Gilead Greed“ (Gilead-Gier) und forderten den Konzern auf, schnell zu handeln – zum Beispiel durch Freigabe der Produktion von Lenacapavir.
HIV-Heilung
Außerdem Thema auf der AIDS 2024: Die Charité Berlin berichtete von einer weiteren HIV-Heilung durch eine Stammzelltransplantation. Das Ungewöhnliche an diesem Fall: Die Stammzellen der spendenden Person waren nicht immun gegen HIV wie in anderen Fällen. Bei der Heilung muss also ein bislang unbekannter Mechanismus eine Rolle gespielt haben.
Einen Überblick zum Stand der HIV-Heilung 2024 geben wir auf magazin.hiv:
Die Frage, ob HIV geheilt werden kann, beantworteten wir außerdem in diesem kurzen Video aus unserer neuen Kurzvideo-Reihe auf Social Media:
Drogenpolitik und Leben mit Drogen
Nicht-Eröffnung eines Drogenkonsumraums in München
Ein Drogenkonsumraum hat im Vorfeld der AIDS 2024 für große Aufregung und mediale Aufmerksamkeit gesorgt – und damit seinen Zweck erfüllt: nämlich Bayern einmal mehr auf die lebensgefährdende Unsinnigkeit eines Totalverbots von Drogenkonsumräumen aufmerksam zu machen. Denn der vollausgestattete Pop-up-Konsumraum blieb verschlossen und man konnte lediglich durch ein Schaufenster ins Innere blicken.
Neuer Höchststand bei drogenbedingten Todesfällen:
Wie notwendig eine flächendeckende Verfügbarkeit von Drogenkonsumräumen, Drugchecking oder des Notfallmedikaments Naloxon ist, machte einmal mehr die in diesem Jahr veröffentlichte Zahl der drogenbedingten Todesfälle deutlich: Das Bundeskriminalamt registrierte mit 2.277 Verstorbenen im Jahr 2023 einen neuen Höchststand.
In einem Video erläutert Mascha Zapf von der Aidshilfe NRW, welche Maßnahmen zur Schadensminderung notwendig sind, um Drogenkonsum unter den Bedingungen der Kriminalisierung sicherer und weniger gesundheitsschädlich zu machen:
Diamorphin-Behandlung
In einer Stellungnahme an das Bundesgesundheitsministerium forderten die DAH, akzept e. V. und der JES-Bundesverband die Diamorphin-Behandlung, also die Echtstoffvergabe von pharmazeutischem Heroin, als gleichwertige und gleichrangige Form der Substitutionstherapie anzuerkennen.
In einer dreiteiligen Interviewreihe auf magazin.hiv beleuchteten wir die diamorphingestützte Behandlung genauer. Den Anfang machte Patient Stephan Raabe:
Fentanyl in Straßenheroin
Im Rahmen unseres Bundesmodellprojekts „Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen“ (RaFT) wurden 1.400 Heroin-Proben auf Beimengungen von Fentanyl getestet. In 3,6 Prozent der Proben wurde das potenziell lebensbedrohliche synthetische Opioid gefunden – ein Signal an Drogenpolitik und Drogenhilfe, jetzt für angepasste Angebote zu sorgen.
RaFT-Projektleiterin Maria Kuban hat in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ die Dringlichkeit des Problems sowie Lösungsansätze deutlich gemacht.
Crack-Konsum
Auch die zunehmende Verbreitung von Crack wird mit Besorgnis verfolgt. Eine 2024 veröffentlichte Handreichung der DAH bietet Aids- und Drogenhilfeeinrichtungen eine Hilfestellung, wie sie ihre Angebote für Crack-Konsument*innen anpassen können.
Frauke konsumiert seit mehreren Jahrzehnten Crack. In den Räumen der Drogenhilfeeinrichtung Abrigado in Hamburg-Harburg, die sie täglich aufsucht, erzählte sie von ihren Erfahren mit der Substanz:
Drogengebrauchende Menschen auf der großen Leinwand
Gleich drei herausragende Kinoproduktionen widmeten sich 2024 der Lebenswirklichkeit drogengebrauchender Menschen. Die mit dem Menschenrechtsfilmpreis ausgezeichnete Langzeitdokumentation „Hausnummer Null“ porträtiert den wohnungslosen Chris und zeigt, wie er durch die Substitution langsam wieder in ein soziales Leben zurückfindet.
Jenny ist schwanger, abhängig von Crystal Meth und muss demnächst eine Haftstrafe antreten. Wie sie es dennoch schafft, ein Selbstwert- und Verantwortungsgefühl aufzubauen, erzählt einfühlsam und frei von Klischees der Spielfilm „Vena“.
Welch wichtige psychische Stütze Haustiere für drogengengebrauchende Menschen sein können, schildert der Dokumentarfilm „Nicht ohne meine Tiere“.
IWWIT: neuer Look, neue Themen
ICH WEISS WAS ICH TU (kurz: IWWIT), die Präventionskampagne der Deutschen Aidshilfe, richtet sich an schwule, bi+ und andere Männer, die Sex mit Männern haben, cis wie trans, sowie an alle Menschen, die sich der schwulen Community zugehörig fühlen. 2024 gingen ihr neues Design und zwei neue Schwerpunktthemen an den Start.
Die Mikrokampagne #MyMentalMe widmet sich der psychischen Gesundheit in der queeren Community und behandelt Themen wie Minoritätenstress, Burnout und Depression.
Mit dem aktuellen Schwerpunkt „MEHR RAUM“ geht IWWIT der Frage nach: Wie können wir sichere Räume schaffen und Ausgrenzung entgegentreten – individuell und als Community?
Aidshilfen und der Rechtsruck
Nach den Enthüllungen der Rechercheplattform „Correctiv“ über ein Treffen Rechtsextremer in Potsdam hat das Land eine beispiellose Protestwelle erfasst. Hunderttausende sind bundesweit bei Demonstrationen in den Metropolen genauso wie in Kleinstädten auf die Straße gegangen.
Der Rechtsruck ist längst nicht mehr nur eine drohende Gefahr, sondern bereits eine Realität, die auch viele DAH-Mitgliedsorganisationen spüren. Das zeigen Momentaufnahmen aus Brandenburg, Berlin, Sachsen und Thüringen.
Was, wenn die AfD noch mehr Einfluss bekommt? Welche Folgen ihr zutiefst unsozialer Kurs zum Beispiel für Geflüchtete, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit Behinderung, für Sozialverbände, die sexuelle Bildung und queere Personen hätte, hat die Journalistin Ulrike Wagener für die DAH recherchiert.
Weshalb gerade trans Menschen immer mehr zur Zielscheibe eines rechten Populismus und einer internationalen Anti-Gender-Bewegung werden – von der AfD und dem BSW über Donald Trump bis Wladimir Putin – analysierte Mine Pleasure Bouvar.
Viele Aidshilfen und andere DAH-Mitgliedsorganisationen bleiben offensiv solidarisch, schmieden neue Bündnisse und zeigen Flagge. Ein Beispiel dafür ist die Initiative „HELFERZELLEN GEGEN RECHTS“ von POSITHIV HANDELN NRW.
Drohende Mittelkürzungen
In immer mehr Städten ist die Finanzierung der erfolgreichen Präventionsarbeit von Aidshilfen in Gefahr. In Nordrhein-Westfalen etwa sind für 2025 Kürzungen von rund 1,6 Millionen Euro geplant – mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts der Aidshilfen! Gefährdet sind damit auch Aufklärungsprojekte für Jugendliche.
Auch in Berlin werden Kürzungen die Aidshilfe-Organisationen, ihre Präventionsarbeit und Testangebote stark einschränken. In Hessen steht ein preisgekröntes Hilfs- und Präventionsprojekt für queere Geflüchtete vor dem Aus. In anderen Bundesländern gehen die Mittel faktisch zurück, weil steigende Kosten und Inflation nicht ausgeglichen werden.
„Wer bei der Prävention spart, wird Neuinfektionen ernten“, warnt deshalb Sylvia Urban vom Vorstand der DAH. „Eine Ausdünnung von Testangeboten wird wieder zu mehr vermeidbaren Aids-Erkrankungen führen. Die Kürzungen bedrohen die Erfolge der letzten Jahre und werden am Ende teuer werden.“
Welt-Aids-Tag am 1. Dezember
„Mamma mia wegen HIV? Nicht mit meiner Mutter!“, „Berührungsängste? Nicht mit mir, Sportsfreund!“ – das sind nur zwei der Slogans der Kampagne zum Welt-Aids-Tag 2024. Starke Persönlichkeiten berichten – u. a. auf Social Media und bei Live-Veranstaltungen – von ihrem Alltag mit HIV, ihrem HIV-positiven Coming-out und ihrem Einsatz gegen Vorurteile.
Aids-Geschichte
Die Aidskrise der Achtziger- und Neunzigerjahre ist nicht vergessen. Im Gegenteil: Sie bewegt und beschäftigt nicht nur die Menschen, die sie durchlebt haben, sondern auch Nachgeborene. So haben etwa drei Studierende in Frankfurt mit ihrem Film „Die Uneinsichtigen“ Spuren des Aids-Aktivismus in Frankfurt zusammengetragen und sind der Frage nachgegangen, wie Solidarität in diesen prekären Zeiten funktionierte.
Der junge Autor Lion Christ wiederum hat sich für seinen Debütroman „Sauhund“ auf eine Zeitreise in die Achtzigerjahre und den Beginn der Aidskrise in München begeben.
Große Resonanz hat der Dokumentarfilm „Baldiga – Entsichertes Herz“ über den Fotografen und Chronisten der Westberliner Schwulen- und Tuntenszene erfahren. Der 1993 verstorbene Jürgen Baldiga sorgte aber nicht nur mit seinen Bildern, sondern auch durch den schonungslosen Umgang mit seiner Aidserkrankung für Aufsehen.
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